Franz Werfel: Eine blassblaue Frauenschrift
Besprechung
Selbstzufrieden und im eitlen Gefühl seiner gesellschaftlichen Auserwähltheit und scheinbar immer währenden Jugendlichkeit und Attraktivität feiert Leonidas, Sektionschef im Ministerium für Unterricht und Kultus, seinen 50. Geburtstag als Zenit seines Lebens. Vor 18 Jahren hatte der aus kleinen Verhältnissen stammende Hauslehrer auf dem Tanzparkett seine Frau Amelie erobert und damit eine der reichsten Partien Wiens gemacht, womit die Basis für die Karriere des opportunistischen Schönlings und Frauenhelden gelegt war. Schon kurz nach der Hochzeit hatte er Amelie mit Vera, einer intellektuellen Jüdin, betrogen, die ihm bis dahin unerreichbar erschienen war. Unter heuchlerischer Vorspiegelung ernster Heiratsabsichten verführte er die bis dahin unberührte junge Frau, um sie ohne weitere Erklärung kurz darauf abrupt zu verlassen. Die einzige Nachricht von ihr, die ihn später erreichte, zerriss er ungelesen, nicht zuletzt aus Furcht vor einer Szene mit seiner verwöhnten, stets eifersüchtigen, gleichfalls manisch gefallsüchtigen Frau und in Sorge um seine gesellschaftliche Stellung. 1936 erreicht ihn nun ein formeller Brief Dr. Vera Wormsers in blassblauer Schrift: Sie bittet um Hilfe für einen jungen Mann, der als Jude in Deutschland seine Gymnasialzeit nicht beenden konnte. Als Leonidas vermutet, dass es sich um seinen eigenen Sohn handelt, kommen Schuldgefühle in ihm auf. Für einen Tag gerät seine Fassade der Sicherheit ins Wanken. Leonidas trifft Vera unter Wahrung gesellschaftlicher Rollendistanz und verspricht seine Hilfe. Erleichtert erfährt er, dass jener junge Mann nicht sein Sohn ist, sondern derjenige eines zu Tode gefolterten Bekannten von Vera. Vera ist auf dem Weg ins Exil. Beiläufig erfährt er, dass sein eigener Sohn vor 15 Jahren gestorben ist. Der Abend findet Leonidas schon wieder in seiner Welt, die nur für einen Augenblick Risse bekommen hat: Vor dem Hintergrund einer prachtvollen Opernaufführung an der Seite seiner krampfhaft um Jugendlichkeit bemühten, herausgeputzten Frau mischt sich in die sonst so jugendlichen Gesichtszüge eine Ahnung von Lebenslüge und Tod. Leonidas ist sich bewusst, dass er seine einzig wahre und erfüllte Liebe an eine verlogene Existenz in einer kinderlosen Ehe und in einer sterilen gesellschaftlichen Position verraten hat.
Didaktische Hinweise
Auch Ethik, Religionslehre und Geschichte. Behandlung im Unterricht: novellenhafte Leitmotivik (Spiegelmotiv Jugend/Alter); Aufsatzunterricht: literarische Erörterung, Texterschließung, literarische Charakteristik; kreative Ansätze (Tagebuch Leonidas/Veras, Darstellung des Treffens aus der Perspektive Veras)
Gattung
- Romane
Eignung
themenspezifisch geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
- Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
- Geschichte
- Zusätzliche Fächer (Fachunterricht)
FÜZ
- Kulturelle Bildung
- Werteerziehung
Erscheinungsjahr
1996 (1941)ISBN
9783100910508Umfang
150 SeitenMedien
- Buch