Robert Schneider: Schlafes Bruder
Besprechung
Ein auktorialer Erzähler berichtet im Stile eines Chronisten über die Geschichte des Johannes Elias Alder. Der Roman ist zugleich auch die Chronik eines Bergdorfes in Vorarlberg und erzählt die Geschichte weiterer Dorfbewohner, deren Schicksal mit dem von Elias verbunden ist. Der Erzähler entwirft ein düsteres Szenario der Dorfgesellschaft im letzten Jahrhundert. Die Bevölkerung ist so von ihrem Lebenskampf vereinnahmt, dass sie sich nicht an die gängigen Moralvorstellungen hält. Aberglaube, Fanatismus, inzestuöse Beziehungen, Gefühllosigkeit, Gewalttätigkeit, Meineid, Brandstiftung und Mord gehören zum Alltag dieses Dorfes. Dort hineingeboren hat Elias keine Möglichkeit, sein Talent als Musikgenie mit fast übernatürlichen Fähigkeiten auszuleben und zur Vollendung zu bringen. Der Erzähler stellt schon zu Beginn des Romans die Frage nach den Absichten Gottes, "der einen Musikanten (schuf), ohne dass dieser auch nur einen einzigen Takt auf Papier setzen durfte, denn er hatte das Notenhandwerk nie erlernen können, so sehr er sich danach gesehnt hatte". Elias, dessen wirklicher Vater der Kurator des Dorfes ist, wächst bei seiner Mutter und deren Mann Seff auf. Seff empfindet Zuneigung zu seinem Sohn. Von seiner Mutter wird Elias aufgrund körperlicher Besonderheiten als fremdartig und unheimlich abgelehnt. Dem fünfjährigen Elias wird ein Hörerlebnis zuteil, das ihn das gesamte Universum spüren lässt, ihm die Gabe vermittelt, Tiere, aber auch die inneren Stimmen und Gefühle von Menschen zu verstehen, und das vorzeitig seine Pubertät einleitet. Der einzige Freund von Elias ist der gleichaltrige, zum Sadismus neigende Peter, der ihn liebt. Elias wiederum liebt seit seinem Hörerlebnis Peters Schwester Elsbeth, deren embryonalen Herzschlag er vernehmen konnte. Als Balgtreter der Kirchenorgel dringt Elias in die Geheimnisse der Musik ein. Sein Talent wird erkannt, jedoch von seinem Onkel, dem Organisten des Dorfes, aus Eifersucht verheimlicht. Bei einem Brand, der fast das gesamte Dorf vernichtet, rettet Elias Elsbeth aus dem brennenden Haus ihrer Eltern. Unter der Führung von Seff begehen die Männer des Dorfes einen Lynchmord an einem der Brandstiftung Verdächtigten. Elias spürt, dass der Brand von Peter gelegt wurde, der damit seine Aggressionen gegenüber seinem Vater auslebt. Elias wirbt still um Elsbeth. Da er aber seine Absichten nicht formuliert, lässt sie sich mit einem anderen ein. Elias zweifelt an der Aufrichtigkeit seiner eigenen Liebe und fühlt sich von Gott getäuscht. Um zu beweisen, dass er die Freiheit des Willens besitzt, beschließt er, sich zur Liebe zu Elsbeth zu zwingen. In der Einsamkeit des Waldes setzt er sich unter Drogen, die ihm das Schlafen unmöglich machen. Nur sein Freund Peter ist dabei, als Elias stirbt. Das Dorf geht in der Folgezeit durch zwei weitere Brände zugrunde. Die Prädestination und die damit verbundene Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens sind die Grundprobleme des Romans. Der Autor verbindet eine düstere, den Naturalismus überzeichnende Dorfchronik mit dem Einzelschicksal eines Helden. Die bewusste Betonung einer auktorialen Erzählhaltung, die Struktur der Dorfchronik und Rückgriffe auf die Sozialgeschichte ordnen den Roman der Erzählkunst der Postmoderne ebenso zu wie die Gestaltung des Helden. Dieser ragt trotz permanenter Erzähler-Ironisierung durch die Außergewöhnlichkeit seiner Fähigkeiten sowie seines Erfahrungshorizontes unter allen anderen Gestalten heraus und entspricht nur in einigen Aspekten dem gebrochenen Helden des Romans der Moderne.
Didaktische Hinweise
Auch Ethik, Geschichte und Religionslehre. Behandlung im Unterricht: Merkmale des Romas; Merkmale postmodernen Erzählens; Personendarstellung; Erzählstrukturen; Dorfchronik; Aufgreifen des Naturalismus; Zeitstruktur; Vergleich mit Patrick Süskinds „Das Parfum“; Aufsatzunterricht: Texterschließung, literarische Erörterung, Problemerörterung
Gattung
- Romane
Eignung
themenspezifisch geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
- Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
- Geschichte
- Zusätzliche Fächer (Fachunterricht)
FÜZ
- Kulturelle Bildung
- Soziales Lernen
- Werteerziehung
Erscheinungsjahr
1995 (1992)ISBN
9783379015180Umfang
104 SeitenMedien
- Buch