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Mirjam Pressler: Nathan und seine Kinder

Besprechung

„Nathan und seine Kinder“ ist eine gelungen unkonventionelle, moderne Adaption von Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ (1779). Mirjam Pressler hat es sich zur Aufgabe gemacht, das aus noch immer viel gespielte Bühnenstück über die Koexistenz der Religionen in einer Variation zu schreiben, die Lessings Vorlage gerecht wird, aber auch jugendlichen Lesern einen Zugang zum Gedankengut der Aufklärung des 18.Jahrhunderts eröffnet. (Vgl. Nachbemerkung.) Die Geschichte spielt zur Zeit des dritten Kreuzzugs 1191/1192 in Jerusalem. Dort lebt Nathan, ein wohlhabender jüdischer Kaufmann, der nach dem Tod seiner Familie die Christin Recha als Tochter angenommen hat. Nathan ist ein wohlwollender Mensch, der mit seinem Reichtum anderen zu helfen versucht. In einer Stadt, in der sich die Vertreter von drei Religionen (Judentum, Christentum, Islam) feindlich begegnen, ist dies eine herausfordernde Aufgabe. Nathans Überzeugung, Verantwortungsbewusstein und Vernunft werden auf eine schwere Probe gestellt, als sich Sultan Saladin, der muslimische Eroberer und Herrscher über Jerusalem, von ihm Geld leihen will. Denn Saladin ist als grausamer und unberechenbarer Herrscher bekannt, und Nathan muss um sein Leben fürchten. Beim Zusammentreffen stellt Saladin dem jüdischen Kaufmann eine Fangfrage. Nathan, der Weise, soll entscheiden, welche der drei Religionen, die wahre ist. Der Kaufmann beantwortet die Frage klug mit einer Gleichnis-Geschichte (Ringparabel), die für einen freundschaftlichen Ausgang sorgt und gleichzeitig ein noch huete gültiges Manifest der religiösen Toleranz aufstellt. Mirjam Pressler behält in ihrer „modernen Nathanversion“ die Figuren und die Grundkonstellation bei, überträgt aber Lessings Drama in eine epische Form. Wird im Theaterstück vorrangig die Spannung zwischen den Religionen in den Mittelpunkt gerückt, verschiebt Pressler den Schwerpunkt, indem sie deutlich stärker als Lessing die Lebensumstände und die soziale Wirklichkeit der Figuren abbildet. Sie erfindet weitere Figuren, wie Nathans Verwalter Elijahu, das Findelkind Geschem oder Abu Hassan, den Hauptmann Saladins, die unter unterschiedlichen sozialen und religiösen Voraussetzungen im Umfeld Nathans leben. Dadurch ermöglicht sie einen lebendigen Einblick in persönliche Lebenssituationen zur Zeit der Kreuzzüge und lässt den historischen Hintergrund und den religiösen Grundkonflikt direkt erfahrbar werden. Der einfühlsame literarische Erzählstil stützt dieses Vorhaben der Autorin. Jedes Kapitel wird von einer anderen Romanfigur erzählt und bildet durch die vielschichtigen Standpunkte bzw. durch die unterschiedliche Beobachterperspektive ein realistisches Bild ab, anders als unter den märchenhaft idealisierten Formzwängen im Werk Lessings. Ein weiterer Grund, warum Pressler überzeugend und glaubwürdig über Israel schreiben kann, ist sicher, dass die Autorin in einem Kibbuz gelebt und auch Übersetzungen aus dem Hebräischen verfasst hat.„Nathan und seine Kinder“ ist eine moderne Variation von Lessings „Nathan der Weise“, die schon Lesern ab 13 Jahren zugänglich ist. Junge Leser werden sensibilisiert für die Grundgedanken der Aufklärung und deren Werte von Vernunft, verantwortungsvollem Handeln unter der Voraussetzung der Toleranz. Nebenbei, ohne moralischen Zeigefinger, wird dem Leser Wissen über die Kreuzzüge und den immer noch aktuellen Krieg der Religionen um Jerusalem vermittelt. Der Roman ist eine „Muss“-Lektüre für Lehrkräfte. Für alle, die sich bereits in der Sek I mit der literarischen Aufklärung auseinandersetzen, bietet Presslers Roman den „Nathan“ (1779) in einer „abgestaubten“, leser- und schülerfreundlichen Form.

Didaktische Hinweise

FIGURENKONSTELLATION Die vielen Figuren bieten vielfältige Schreibanlässe. Jedes Kapitel kann aus der Perspektive der tragenden Figur weiter erzählt und weiter entwickelt werden. Je nach ausgewählter Rolle verschieben sich automatisch Standpunkt, Zielsetzung und Emotion in Bezug auf den Grundkonflikt. Nathan wird bei Mirjam Pressler nicht zur Erzählfigur. Diese Aufgabe können Schüler übernehmen, indem sie aus dessen Perspektive schreiben. RINGPARABEL Ein aktueller Bezug kann durch das Sammeln von Zeitungsausschnitten zu Konflikten, die aufgrund unterschiedlicher religiöser Überzeugung bestehen, hergestellt werden. Der Zusammenhang zwischen den Ereignissen und der Ringparabel wird dadurch sicher deutlich. NATHAN DER WEISE Die Parallele zum „Original“ kann über eine gezielte Auswahl hergestellt werden (auch durch paralleles oder sich ergänzendes Lesen). Hier bietet sich auch ein Vergleich der unterschiedlichen Ausgänge an. HISTORISCHER HINTERGRUND Zur Einordnung ist fächerübergreifendes Arbeiten in Geschichte und Religion/Ethik zur Zeit der Aufklärung und zur Zeit der Kreuzzüge gefragt. Auch die geographische Einordnung Israels bzw. Jerusalems (z. B. mithilfe eines virtuellen Rundgangs durch Jerusalem) ist in diesem Zusammenhang zu klären. AUFKLÄRUNG Die Bedeutung von Grundwerten wie verantwortungsvolles Handeln auf der Grundlage der Toleranz sind zu diskutieren. Gerade in Klassen mit Migrationshintergrund kann die Lektüre einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Dialog leisten. VISUALISIERUNG In der Erzählung für Kinder ab 7 „Nathan der Weise“ von Barbara Kindermann aus dem Kindermann Verlag (2009) hat Maren Briswalter ausgewählte Szenen detailliert illustriert. Die Illustrationen bieten Schülern zu Mirjam Presslers Romane einen zusätzlichen visuellen Zugang zu Grundfiguren und Motiven. AUDIO VERSION Die Hörbuchversion „Nathan und seine Kinder“ mit Julia Nachtmann als Recha und Hans Löwe als Tempelritter (4 CDs, Jumbo Neue Medien) gibt akustisch jeder Figur und dem Erzählstoff eine weitere Konturierung.

Gattung

  • Romane

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 8 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Geografie/Erdkunde
  • Geschichte
  • Interkulturelle Erziehung

Erscheinungsjahr

2009

ISBN

9783407810496

Umfang

248 Seiten

Medien

  • Buch