Peter Härtling: Djadi, Flüchtlingsjunge
Besprechung
Djadi soll 11 Jahre alt sein, aber so sicher ist sich da niemand. Als UMF (unbegleiteter minderjähriger Flüchtling) ist er eines Tages aufgetaucht, man weiß nicht, was er auf der Flucht von Syrien nach Deutschland erlebt hat. Aber dass es viel Schlimmes war, merken die sechs Bewohner einer Alten-WG daran, dass er immer wieder posttraumatische Störungen aufweist, dass er versucht, seine Vergangenheit zu verdrängen. Das ist ähnlich wie bei dem alten Wladi, dem er sich besonders anschließt. Denn auch Wladi hat Erfahrungen als Flüchtling, er aber aus der Zeit am Ende des 2. Weltkriegs, als er mit seiner Familie aus Ostpreußen fliehen musste. Umso einschneidender ist, dass Wladi, der Älteste der „Alten“ der WG, krank wird und an einer Lungenentzündung stirbt. Djadi muss sich demnach mit noch einem Verlust auseinandersetzen. Ihm gelingt diese nur, weil er mittlerweile eine tragfeste Schutz- und Wohngemeinschaft gefunden hat.
Peter Härtling greift in diesem späten KinderRomane viele autobiographische Erlebnisse auf, sein Alter Ego Wladi teilt nicht nur sein Alter und seine Gebrechlichkeit, sondern auch seine frühen Kindheitserfahrungen auf der Flucht, die er in „Krücke“ oder „Reise gegen den Wind“ schon literarisch bearbeitet hat. Besonders beeindruckend ist genau diese typisch deutsche Verknüpfung des Flüchtlingsthemas, denn beide - Djadi und Wladi - sind sich aufgrund dieser gemeinsamen Erfahrungen so nah, dass Djadi körperlich mitleidet, als sein „Lieblingsonkel“ beim Schwimmen im Meer unterzugehen scheint. Auch die Darstellung der Rentner-WG hat sicher autobiographische Elemente und hier erscheinen Anspielungen an Härtlings berühmten Klassiker „Oma“ aus dem Jahr 1975 oder an sein vorletztes Kinderbuch „Hallo Opa liebe Miriam“ aus dem Jahr 2013: Das Akzeptieren des anderen beschränkt sich nicht nur auf zwei Kulturen, sondern auch auf verschiedene alte und junge Menschen. Dies macht es den kindlichen Lesern aber auch nicht so ganz einfach und lenkt in der Thematisierung der Lebensgeschichte der Alt-Achtundsechziger vielleicht auch ein wenig von den eigentlichen Themen des Romanes ab. Neben stimmigen und atmosphärisch dichten Momenten, die insbesondere das Thema der Traumatisierung eindrücklich vermitteln, finden sich immer wieder auch Elemente, die für die Zielgruppe eher komplex oder abstrakt erscheinen. Etwas störend ist für diese z. B. der Umstand, dass es keine gekennzeichnet direkte Rede gibt, sondern viel indirekte Rede, wodurch der Übergang zum Gesagten manchmal nicht deutlich wird.
Didaktische Hinweise
In der Reihe der „Fluchtbücher“, die in den letzten Jahren erschienen sind (vgl. hierzu die Zusammenschau bei LESEFORUM BAYERN) ist Härtlings Kinderbuch sicher ein besonderes, manchmal aber auch sperriges Buch, das vor allem bei Jüngeren sicher Unterstützung im Unterricht braucht. Hilfreich hierfür: Die Lehrerhandreichung (mit Kopiervorlagen) zum Buch für die Jahrgangsstufen 3 bis 5 von Kristina Kroll, für 7,95 Euro erhältlich auch bei Beltz (Best.Nr. 63040).Für den Deutschunterricht besonders ergiebig sind die vielen sprachlichen Brücken, die die WG-Bewohner dem Flüchtlingsjungen in der deutschen Sprache bauen müssen. "Warum ist das so mit Bedeutungen in der deutschen Sprache?" (S. 93) - meint Djadi, dem das Lernen leicht fällt, aber die vielen übertragenen Bedeutungen der Wörter Probleme machen. Vielen (auch) deutschen Kindern geht es hier ähnlich, hier wäre ein Punkt, an dem der Deutschunterricht nachhelfen könnte.
Gattung
- Romane
Eignung
für die Schulbibliothek empfohlenAltersempfehlung
Jgst. 3 bis 6Fächer
- Deutsch
- Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
- Interkulturelle Erziehung
Erscheinungsjahr
2017ISBN
9783407821645Umfang
116 SeitenMedien
- Buch