Amelie Fried: Schuhhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte
Besprechung
Amelie Fried ist bekannt als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. In ihrem neuen, sehr persönlichen Buch hat sie sich auf die Suche nach ihrer verschwiegenen Familiengeschichte gemacht. Ihre Generation (Fried ist 1958 geboren) wusste fast nichts über den jüdischen Teil der Familie und dessen Schicksal. Ort der Handlung ist Ulm. Wie der jüdische Großvater, Besitzer des renommierten Schuhhauses „Pallas“, und dessen Sohn Kurt, Amelie Frieds Vater, nach dem Krieg bedeutender Zeitungsverleger, die Zeit des Nationalsozialismus erlebt und überlebt haben, war in der Familie kein Thema. Es wurde sogar systematisch unterschlagen, als ob sich die Opfer der Verfolgungen und Demütigungen auch noch hätten schämen müssen. Unterstützt wurde dieses Schweigen natürlich von einer allzu vergessensbereiten Nachkriegsgesellschaft in Ulm und anderswo. Mehr durch Zufall auf die Spur gebracht, sucht die Autorin nach Spuren und lässt den Leser daran teilhaben. Sie zitiert Dokumente, Briefe und zeigt Familienfotos, sie kommt auf herzzerreißende Geschichten von Deportationen, Selbstmorden und dem Ende vieler Familienmitglieder in Auschwitz. Fast alle, die noch übrig sind und etwas zu erzählen hätten, winken ab. Der Großvater hat wie durch ein Wunder überlebt, aber die Familie bleibt seelisch schwer beschädigt. Um das Schuhhaus vor Enteigung wegen „jüdischer Versippung“ zu retten, hatte sich die Großmutter scheiden lassen, das Paar lebt zwar nach dem Krieg wieder zusammen, aber die Wunden sind geschlagen. Die Großmutter zieht sich verbittert zurück. Großvater und Vater nehmen ihre Rollen in der Ulmer Gesellschaft zwar ein, müssen die Vergangenheit aber verdrängen. Amelie Fried, die zu ihrem Vater ein problematisches Verhältnis hatte, gewinnt durch ihre Arbeit an dem Buch eine neue, versöhnlichere Sichtweise auf ihn und kann sich nun auch manches Unerklärliche erklären. Der Zugang zu dem Thema (Betroffenheit und Recherche einer zunächst ahnungslosen Nachgeborenen) erscheint ungewohnt, und insofern ist das Buch ein wichtiger Beitrag für jugendliche Leser. Im Mittelpunkt stehen nicht die ungeheuerlichen Gräuel der Konzentrationslager, sondern die Ungeheuerlichkeit, die ganz normale Menschen dieser schwäbischen Stadt ihren jüdischen Mitmenschen angetan haben, ebenso wie die Hilflosigkeit und das ungläubige Nichtglaubenkönnen der Opfer. Solche bleiben sie, auch wenn sie überleben. Einige wenige Helfer und Getreue sind ein Lichtblick, aber kein wirklicher Trost. Selbst die Nachgeborenen leiden noch unter den verschwiegenen Demütigungen und Bedrohungen. Fächerübergreifende Ziele: Politische Bildung
Didaktische Hinweise
Obwohl das Buch recht einfach, manchmal vielleicht etwas zu didaktisch geschrieben wirkt, sollte man es nach Ansicht der Rezensentin nicht vor der 8. Klasse lesen. Erst in etwas fortgeschrittenerem Alter wird sich die Vielfalt der Zusammenhänge erschließen. Hilfreich für den Zugang dürfte sein, dass die Verfasserin durch ihre Arbeit als Moderatorin und vielleicht auch Autorin bekannt ist (evtl. Einsatz einer Fernsehaufzeichnung). Ein Besprechung als Lektüre erscheint gut möglich, Hinweise s. u.
Vom dtv-verlag gibt es hier ein kostenfreies Unterrichtsmodell.
Gattung
- Sachbücher
Sachbuchkategorie
- Biografien, Autobiografien, Porträts
Eignung
als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 8 bis 13Fächer
- Deutsch
- Geschichte
Erscheinungsjahr
2008ISBN
9783446209831Umfang
183 SeitenMedien
- Buch