Patrick Modiano: Place de l'Etoile

Besprechung

Modianos Romandebüt aus dem Jahr 1968 ist zum ersten Mal auf Deutsch erschienen. Der Reigen verschiedener fragmentarischer Geschichten hat den Etoile als Mittelpunkt, in seiner doppelten Bedeutung als Platz in Paris und als Judenstern unter deutscher Besatzung. Raphaël Schlemilovitch ist der Kollaborateur und Nazispitzel, der Liebhaber Eva Brauns, er ist Schriftsteller, der das besetzte Frankreich aufrütteln will, oder assimilierter Jude in der französischen Provinz, Mädchenhändler oder er wird von den Nazis verfolgt. Am Ende landet er auf der Couch eines gewissen Professor Freud. Bewusst werde hier alle antisemitischen Klischees bedient. Die gesamte Kollaborateursszene der Okkupation erscheint, von Celine bis Maurice Sachs. Auch Modianos Ton wechselt dauernd: heitere Distanz, Parodie, karikierende Übertreibung wechseln einander ab. Das Nachwort der Übersetzerin ist eine informationsreiche Ergänzung. Nach Maus-Comics und dem Film Inglourious Basterds ist man das Format der Groteske nun schon gewohnt, aber als der Roman 1967 entstand, war das revolutionär, deshalb wohl auch der Abstand von mehr als 40 Jahren zur Übersetzung. Das Interesse der revolutionären Jugend von 1968 in Frankreich galt nicht so sehr der Aufarbeitung der Besatzungszeit und es dauerte lange, bis es überhaupt dazu kam, sodass es erstaunt, wie umfangreich Modianos Wissen damals schon war. Modianos Lebensthema, die Lage der Juden unter deutscher Besatzung fand einen furiosen Auftakt. Wieder aufgenommen wurde es zum Beispiel in Dora Bruder, Livret de famille oder zuletzt im autobiografischen Bericht Ein Stammbaum.