Jane Gardam: Letzte Freunde
Besprechung
Jane Gardam wird dieses Jahr 89 und sie hatte vor drei Jahren schon vor das Schreiben aufzugeben, als sie um eine Weihnachtsgeschichte für The Oldie gebeten wurde. Und es fiel ihr tatsächlich die Geschichte von zwei alten Herren ein, die am Ende eines langen Lebens, in dem sie durch Eifersucht und Hass verbunden waren, zufällig Nachbarn werden, einander aus dem Weg gehen, aber dann, als sich der eigentliche Protagonist bei Schneesturm aus seinem Haus aussperrt, den Heiligen Abend zusammen verbringen und eine späte Freundschaft schließen. Diese Geschichte wird der mehrfach erwähnte äußere Kern einer Romanetrilogie, 2004, 2009 und 2013 erschienen, und liegt am Anfang des dritten Bandes schon eine Weile zurück. Dieser letzte Band ist als erster ins Deutsche übersetzt worden, daher erfahren die deutschen Leser die Geschichte sozusagen von ihrem Ende her. Das ist aber eigentlich auch das Prinzip der Erzählform: der Tod der drei Hauptfiguren ist der Anfang, von dem aus ihre Spuren zurück verfolgt werden. Im ersten Band, im Original „Old Filth“, der Name ist eine doppeldeutige Anspielung auf den Protagonisten, wird aus seiner Perspektive, der von Sir Edward Feathers erzählt, einem Halbwaisen aus dem Raj, also Britisch-Indien, der Karriere als Jurist gemacht hat. Am Anfang des ersten Bandes ist der alte Herr gerade Witwer geworden, seine Frau Betty ist tot ins Tulpenbeet gefallen, und er lebt allein in einem großzügigen Anwesen in Dorset, als sich eines Tages sein gehasster Rivale Sir Terence Veneering im benachbarten, aber zum Glück weit genug entfernten Haus niederlässt. Mosaiksteine aus Feathers' Vergangenheit folgen, verteilen sich über alle drei Bände, vieles wiederholt sich, vor allem Schlüsselszenen werden mehrfach erwähnt. Man kann jeden Band als Romane für sich lesen, das ganze Geheimnis um die Figuren und ihre Verflechtung ergibt sich jedoch erst aus allen drei Teilen. Der zweite Band ist aus der Sicht von Betty erzählt und der dritte, „Letzte Freunde“, beginnt, als alle drei tot sind mit der Beerdigung des alten Feathers. Er endet nach einer Schleife zurück aus der Sicht von Veneering und durch den allerletzten Lebensabschnitt des alten „Filth“ mit der Andeutung einer Liebesgeschichte zwischen zwei Randfiguren aus den alten Zeiten. Der Punkt, an dem sich die drei Schicksale vor langer Zeit verknotet haben und zu dem immer wieder hingeführt wird, ist die nie wirklich ausgelebte, aber doch im Milieu der reichen Diplomaten und Juristen über Generationen weitergetragene Liebesgeschichte zwischen Veneering und Betty, aus der eine Perlenkette übrigbleibt, die wie eine Art Falkensymbol wirkt. So entsteht kunstvoll mäandernd das Lebensbild von drei Personen, die obendrein die Epoche und die Gesellschaftsschicht des Englands der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörpern. Verletzung, Schuld, Verlassenheit, überkommene Rollenbilder – es gibt nur eines nicht: Geldprobleme. Besonders an Gardams Stil ist ihre trockene, sachliche, auf feine Art ironische Art des Erzählens. Psychologische Deutungen überlässt sie dem Leser. Er bekommt genug Material dafür. Vergesst das Kind nicht, „Keep the child in view“ – diesen Hinweis von Dickens, von dem die Autorin inspiriert scheint, wie wohl auch von Kipling, nimmt sie besonders ernst.
Didaktische Hinweise
Zur Originalausgabe 2013 hat Jane Gardam ein Vorwort verfasst, das Elemente einer Entstehungsgeschichte enthält. Daran kann man eine Analyse orientieren oder einfach nur herausfinden, wie ein Autor zu seinem Stoff kommt und wie er damit umgeht. Die Geschichte des Empire und seiner Auflösung ist als Hintergrund zu erforschen. Das Motiv des verlassenen Kindes, zentraler Punkt in Feathers Biographie, zieht sich durch Englands Geschichte: immer wieder wurden Kinder aus rationalen Gründen aus den Elternhäusern weggeschickt. Rudyard Kiplings „Baa Baa, Black sheep“ sollte man dazu lesen, so die Autorin in einem Gespräch (Die ZEIT, 26.5.2016).
Gattung
- Romane
Eignung
themenspezifisch geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
- Englisch
Erscheinungsjahr
2016ISBN
9783446252905Umfang
239 SeitenMedien
- Buch