Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

Besprechung

Die sieben Kapitel auf fast 1000 Seiten liest man leicht, da die Erzählung von großer innerer Spannung getragen wird. Viel Gefühl wird aufgewendet in der Geschichte, in der es eigentlich um das bis zum Ende lebensbestimmende Trauma des Jude St. Francis geht, unter dessen Auswirkungen auch seine drei Freunde, obwohl sie nichts davon wissen, leiden. Der Leser wird schrittweise an die Wahrheit herangeführt, vorausahnend liest man weiter und wird doch immer wieder von der Gegenwartshandlung unterbrochen, die ja immer mit der Vergangenheit verknüpft ist. Spannung liegt auch darin, denn aus der Freundschaft zwischen Jude und William, mit deren Einzug in eine gemeinsame Wohnung der Roman beginnt, wird 400 Seiten später eine Liebesbeziehung. Da alle vier Freunde Erfolg haben, einer als Schauspieler, einer als Künstler, einer als Architekt und Jude als Anwalt, spielt sich die Handlung im reichen New Yorker und Ostküstenmilieu ab. Frauen spielen bestenfalls eine Rolle am Rand. Leitfaden ist Judes permanente Entschuldigung. Er leidet an körperlichen Folgen seines Kindheitstraumas und ist immer gebrechlicher, er verletzt sich selbst und hungert, was nur mit der Hilfe seines Freundes Andy, der Arzt ist, eine lange Zeit über einigermaßen gut geht, er begeht einen Selbstmordversuch, er lügt oder zumindest verweigert er allen, die ihn lieben, die Wahrheit, obwohl sie spüren, dass sie nicht alles wissen – das alles bringt ihn dazu, um Verzeihung zu bitten, ohne etwas ändern zu können. Die Erzählweise ist recht bieder, abgesehen von den Rückblenden auf Judes schlimme Kindheit und Passagen in Ich-Form, deren Erzähler Harald ist, der mit seiner Frau einen Sohn hatte, der an einer unheilbaren Krankheit gestorben ist und der Jude adoptiert hat, wird chronologisch berichtet.