Arno Geiger: Unter der Drachenwand
Besprechung
Von Krieg, Hoffnung und Liebe handelt der Roman, der aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen aus dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Im Mittelpunkt steht der junge Veit Kolbe, der schon fünf Jahre an der Front, zuletzt in Russland war, als er wegen einer Verwundung zu seinen Eltern nach Wien zurückkehrt. Weil er die Situation dort nicht erträgt, fährt er zu einem Onkel, der als Postenkommandant im Ort Mondsee am Mondsee lebt. Der Onkel verschafft ihm ein Zimmer bei der „Quartierfrau“, die in der Erzählung keinen Namen hat und ihre Mieter auf alle möglichen Arten quält und ausnützt. In das Nebenzimmer zieht die „Darmstädterin“ Margot, eine junge Mutter mit Baby ein, mit der Veit sich nach und nach anfreundet. Im weiteren werden sie ein Paar und als Veit aus dem letzten Einsatz im längst verlorenen Krieg wiederkehrt, lässt sich Margot scheiden, sie heiraten und bekommen eigene Kinder. Der Roman endet aber schon mit Veits Fahrt Richtung Front und einem letzten Blick auf die Drachenwand. Veit lebt gerne in Mondsee, mit Blick auf Schafberg und Drachenwand, auch wenn er sich sein Quartier erst erkämpfen muss und unter kriegsbedingten Bewusstseinsstörungen leidet. Das Leben ist auf eine merkwürdige Art normal, obwohl Veit und Margot auf das Kriegsende und ein richtiges Leben hoffen. Veit besucht in den Monaten seines Aufenthalts seinen lungenkranken und trotzdem kettenrauchenden Onkel, hilft dem „Brasilianer“, der einen Gärtnerei betreibt und wegen seiner Kritik an Hitler, dem F., ins Gefängnis kommt, lernt eine Lehrerin kennen, die mit einer Mädchenklasse evakuiert wurde und erfährt von der Schülerin Nanni, dass ihre Mutter ihre junge Liebe zu Kurt verhindern will, der in Wien auf seine Einberufung wartet. Veit schreibt Tagebuch, seine Erzählungen, durch Schrägstriche zu einer Art Versepos stilisiert, werden abgelöst von anderen Erzählungen oder Briefen: von Kurt, der seiner Nanni immer wieder schreibt, da sie weggelaufen und verschwunden ist, von Margots Mutter, von Oskar Meyer, einem Wiener Juden, der mit seiner Frau und einem Sohn vor den Deutschen nach Ungarn flieht und auf dem Transport ins KZ ermordet wird. Der Leser weiß dadurch mehr als der Erzähler. Die Vielfalt der Stimmen spiegelt sich in der vielfältigen Sprache wieder: jeder hat seinen eigenen Ton, wobei der Ich-Erzähler offenbar im Stil des Autors erzählt. Er vertritt die Hoffnung: obwohl er den Krieg erlebt hat und wieder eingezogen wird, hofft er, dass das Ende nah ist. Wie es mit den Figuren weitergeht, die zum Teil realen Hintergrund haben, so dass der Autor nachforschen konnte, erfährt die/der Leser/-in aus einem Nachspann. Nur dass Nannis verweste Leiche an der Drachenwand gefunden wird und dass Veit, allerdings kaum unmotiviert, seinen nazitreuen Onkel erschießt, kommt in der Erzählung vor.
Didaktische Hinweise
Der Autor hat so wenig wie die jungen Leser/-innen diesen Krieg erlebt. Eine Recherche zu Dokumenten aus dem letzten Kriegsjahr und der Aktivierung 17jähriger, die noch den einmarschierenden alliierten Truppen entgegengeschickt wurden, kann die Lektüre ergänzen. Aber auch heute gibt es Krieg – wie sieht Krieg heute aus, was erleben junge Menschen dabei? Im Roman wird die Situation, von Bürokraten und Politikern abhängig zu sein, wie es Veit bei den Tauglichkeitsuntersuchungen erlebt, oder die Freude, wieder aus einer Tasse trinken, die Zahnbürste zu wechseln oder einen warmen Ofen zu haben, besonders lebendig. Empfehlung für die Schulbibliothek und in Auszügen für den Geschichtsunterricht.