E. T. A. Hoffmann: Lebensansichten des Katers Mur

Besprechung

Murr erlebt eine „bildende“ Jugendfreundschaft mit dem Pudel Ponto, eine „persönlichkeitsformende“ Liebe zur Katze Miesmies, macht Erfahrungen als „Burschenschaftler“, versucht in der großen Welt der Hunde zu reüssieren und zieht sich schließlich ins friedvolle Dasein eines Gelehrten zurück. Im Spiegelbild des sich selbstgewiss-eitel produzierenden Katers, Symbol für einen heuchlerischen, bildungsprotzigen Philister, wird die zeitgenössische Gesellschaft bzw. ihre Bildungsfassade kritisiert. Dem Spott auf die Bürgerwelt folgen im Kreisler-Teil satirische Angriffe auf die aristokratische Hofgesellschaft. Das komplexe Schicksal Kreislers entzieht sich im Gegensatz zur platten Existenz des Katers einer eindeutigen literarischen Fixierung, vielmehr werden die Probleme romantischen Künstlertums dargelegt – Kreisler empfindet den Gegensatz zwischen Ideal und Leben aufs Bitterste. Er schwankt zwischen der „reinen“ Liebe zur musikbegeisterten Julia und der dämonischen Leidenschaft für die sinnliche Prinzessin Hedwiga. Selbst im Kloster, beim Komponieren geistlicher Musik, findet er nicht die ersehnte Ruhe. Er bleibt in seinem Künstlertum auf die Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen angewiesen. Am Schluss ist er dem Wahnsinn nahe. Vorgesehen für einen dritten Teil war möglicherweise eine Verschränkung beider Romanteile: Kreisler bekommt den „hoffnungsvollen“ Kater in Obhut, damit dieser bei ihm „höhere Bildung“ lerne. Eine Harmonisierung zwischen der Welt des Alltäglichen und dem Bereich der Ideen könnte in der humoristischen Weltsicht erfolgen.