Christian Kracht: Imperium
Besprechung
Die Welt erlebt eine der großen Krisen der Moderne und steht vor dem Ersten Weltkrieg, dem "großen Generator von Ordnung in einer Welt, in der anders als in der alten Welt die Kräfte der Gesellschaft auseinanderstrebten" (Armin Nassehi, Der Ausnahmezustand als Normalfall, in: Kursbuch 170, Hamburg 2012). Bevor diese zynische Form von Ordnung wirksam wird, tritt August Engelhardt aus Nürnberg auf. Er hat einen Weg aus der Krise, seiner persönlichen und der der Welt, insbesondere des deutschen Kolonialreiches. Seine Lösung heißt konsequenter Kokovorismus, die Gründung von Kokos-Kolonien und die Anbetung der Sonne, nackt und in Palmentempeln. Da es in München und in Deutschland meist zu kalt ist, die Sonne zu wenig scheint und die merkwürdige Gestalt mit den bis zum Steißbein hängenden Haaren, dem langen Baumwollgewand und dem Obstkorb am Arm den Spott, das Misstrauen und immer wieder die Aggression der deutschen Mitbürger erregt, besteigt Engelhardt die Prinz Waldemar, ein Schiff von dreitausend Tonnen, und reist nach Neupommern, wo er eine Insel kauft, zumindest glaubt er das, und mit einem Häufchen Eingeborener die Kokos-Pflanzung und das Leben als nackter Kokovore beginnt.
Kracht erzählt dies in einem exquisit ironischen, oft an Thomas Mann angelehnten Stil. An einigen beziehungsvollen Stellen deutet er an, wie gut es gewesen wäre, wenn ein gewisser anderer „Romantiker“, „der Sonnenkreuzler des Deutschen Volkes“ eine ähnlich harmlose Spinnerei im Sinn gehabt hätte. Harmlos ist aber auch Engelhardts Regime über die Eingeborenen auf der Insel nicht, die er „befriedet und halbwegs vegetarisiert" und „arbeitswillig gestimmt“ (S.121 f.) hat. Engelhardt lebt auf seiner Insel, bekommt ab und zu Besuche von jungen Adepten, von denen er sich alsbald aber entzweit, darunter von Heinrich Auecken aus Helgoland, der von einer Kokosnuss oder wegen seines Antisemitismus von Engelhadt selbst mit einer solchen erschlagen wird, isst nur Kokosnüsse, bekommt unbemerkt Lepra und verbraucht über Schuldscheine Geld, das er nicht hat.
Mit den Jahren wird Engelhardt immer verwirrter, sein anfangs schmuckes Anwesen vergammelt, er beginnt, angefangen bei den Fingernägeln bis zu den Daumen, sich selbst aufzuessen und wird zum Ärgernis, dessen sich der Gouverneur mit Hilfe einer kleinen Erpressung zu entledigen sucht. Doch das misslingt und Engelhardt vegetiert jetzt nurmehr auf seiner Insel, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Marinesoldaten aufgespürt und in die Welt der Sieger, das „Imperium“, gebracht wird, in der er Cola zu trinken bekommt und zum ersten Mal „seit fünfzig Jahren“ Würstchen isst. Der Romane beginnt mit der Fahrt auf dem Luxusdampfer in die Südsee, er endet mit einer ähnlichen Szene aus einem Film, der nach Engelhardts Tod über ihn gedreht wurde.
Didaktische Hinweise
Die Figur des August Engelhardt ist eng an ihr reales Vorbild angelehnt, so dass Parallelen gezogen werden können. Ein Streit der Literaturkritik ist zum Erscheinen des Buchs Mitte Februar entbrannt: der Spiegel-Journalist G. Diez hat das Buch als Zeugnis rechtsradikaler Gesinnung gelesen, dabei offensichtlich Autor und Erzähler gleichgesetzt und den vom ersten bis zum letzten Wort ironischen Ton missverstanden. Eine Suche im Text wird Perlen der Stilkunst zu Tage fördern, in denen von Rassismus und dem „Sonnenkreuzler“ die Rede ist. Die Reaktionen darauf können die Schüler mit ihrem eigenen Urteil vergleichen. Eine Stilanalyse und Wertung der langen „Schachtelsätze“ des Autors schult die ästhetische Urteilskraft. Das Aufspüren von Anspielungen auf Thomas Mann, Kafka, Hesse und Joseph Conrad lässt einen literarischen Mikrokosmos entstehen.
Gattung
- Romane
Eignung
themenspezifisch geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
- Geschichte
Erscheinungsjahr
2012ISBN
9783462041316Umfang
243 SeitenMedien
- Buch