Angelika Klüssendorf: Das Mädchen

Besprechung

Obwohl es nicht zum sozialistischen Weltbild passte: Misshandlung und Vernachlässigung gab es auch in der DDR. Das Mädchen, zu Beginn des Romanes 12 Jahre alt, und ihr kleiner Bruder Alex, dessen goldene Locken ihm nicht viel helfen, sind Opfer solcher Zustände. Der Vater, ein Trinker, taucht nur sporadisch auf, andere Männer kommen und gehen, aber der eigentliche Schrecken ist die Mutter: haltlos, depressiv und sadistisch. Schläge, Beschimpfungen, Eingesperrtwerden, das ist der normale Alltag der Kinder. Während der Junge immer verschreckter und hilfloser wird, zeigt das dünne Mädchen Widerstand, zunächst nur innerlich durch die Flucht in Bücher und Spiele, dann auch durch die Suche nach Ersatzbeziehungen, durch Stehlen und Weglaufen. Eine Episode beim Vater und seiner neuen Frau bringt nicht die erhoffte Wendung, das Kinderheim scheint zumindest manchmal ein Ort der Zuflucht, allerdings verübt das Mädchen hier auch an anderen das, was die Mutter ihr angetan hat. Das Buch ist nicht kalt, aber sachlich und ohne jede Larmoyanz erzählt. Der Leser empfindet eine Mischung von Abscheu, Entsetzen, Mitleid und Bewunderung.