Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Besprechung

Julian Barnes beschreibt in einer eindrucksvollen Eingangsszene, wie Dmitri Schostakowitsch, beim Diktator Stalin in Ungnade gefallen, Nacht für Nacht mit gepacktem Koffer am Fahrstuhl steht, um nicht mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt und abgeführt zu werden. Er will sich einen Rest von Würde bewahren, aber die Angst bleibt, auch als er dann doch nicht abgeholt wird. So lesen wir in drei Momentaufnahmen vom Leben eines Genies in einer Diktatur und davon, was die ständige Angst und Bedrohung in einem Menschen anrichten. 1937 ist Schostakowitsch zum Volksfeind geworden, weil Stalin die weltweit gefeierte Oper Lady Macbeth von Mzensk vorzeitig verließ. 1949 geht es um eine gefährliche, zur Lüge und Unwahrheit zwingende Reise in die USA und 1972 um einen zwar sanfteren, gleichwohl noch immer vorhandenen Druck auf den eigentlich gefeierten und anerkannten Künstler. Dazwischen erfährt man von den vielen subtilen und offenen Bedrohungen und Zumutungen eines Systems, dem man sich schlicht nicht widersetzen konnte, wenn man wie Schostakowitsch um sich selbst, seine Familie und sein Werk fürchtete. Der Zwang zu so viel Unwahrheit, das Erlebnis allumfassender Bedrückung und Angst, die Unfähigkeit und auch Unmöglichkeit, sich anders als systemkonform zu verhalten, und die Scham darüber werden eindrucksvoll vermittelt. Ein trotz des schweren Themas gut lesbares Buch, thematisch und erzähltechnisch interessant. Die Übersetzung von Gertraude Krueger wird allgemein hervorgehoben.