Arnon Grünberg: Muttermale
Besprechung
Otto Kadoke ist Psychiater und arbeitet in einem Krisenzentrum, wo es seine Aufgabe ist, Menschen von Selbstmord abzuhalten. Er ist geschieden, ohne Kinder und genießt, so sagt er, seine Ruhe. Dass sein Nachfolger seine Frau alsobald geschwängert hat, ärgert ihn dennoch. Eines Tages kommt er ins Haus seiner Mutter und ist von Liebesbedürfnis so überwältigt, dass er über die nepalesische Pflegerin seiner Mutter herfällt. Das führt dazu, dass er von deren Lebensgefährten verdroschen wird und der Pflegerin kündigt. Kadoke versucht, seine Ex-Frau dazu zu bringen, seine Mutter zu waschen, weil seiner Ansicht nach das niemand sonst kann. Diese weigert sich und so muss er selbst wieder bei seiner Mutter einziehen. Sein Verhältnis zu seiner Mutter ist nicht gut, sie schwankt zwischen Hilflosigkeit und Abwehr. Eines Tages wird Kadoke zu einer Patientin gerufen - Michette, die gerade als austherapiert aus der Anstalt entlassen wurde. Als er mit ihr auch nicht weiterkommt und sie noch immer selbstmordgefährdet zu sein scheint, beschließt er sie dazu zu bringen, die Pflege seiner Mutter zu übernehmen. Es entsteht eine groteske und nicht gerade professionelle Art des Zusammenlebens, wobei Kadoke sich Michettes Annäherungsversuchen entzieht. Auch seine Kollegin Dekha würde ihn gerne lieben, aber er zieht die Nachtdienste mit ihr vor. Aus einem Besuch mit Michette bei ihren Eltern, die ein Hotel am Strand besitzen, erwächst die Idee, sie und seine Mutter dort unterzubringen. Als er wieder zuhause ist, überkommt ihn eine „Sehnsucht, die nicht von Lebenslust zu unterscheiden“ ist. „Dieses Nicht-tot-Sein muss aufhören“ ist der vorletzte Satz des Romans.„Muttermale“. Der Titel ist doppeldeutig: Einerseits wird er konkret eingelöst, da sich der Protagonist beim Hautarzt einer Behandlung unterzieht und er von seiner Mutterbeziehung gezeichnet ist. Andererseits verweist er auf die Familiengeschichte des Autors. Fast gleichzeitig mit „Muttermale“ erschienen die Erinnerungen seiner knapp den Vernichtungslagern entkommenen Mutter Hannelore Grünberg-Klein („Ich denke oft an den Krieg, denn früher hatte ich dazu keine Zeit“). Vor diesem Hintergrund erzählt Grünberg seine Geschichte eher distanziert und teilweise amüsant, obwohl bei genauerem Nachdenken nichts daran lustig ist.
Didaktische Hinweise
Die lebenslange Frage, wozu man überlebt hat und ob das eigene Leben dieses Überleben lohnt, beschäftigt nicht nur die Generation der unmittelbar Davongekommenen. Die hatten ja oft „keine Zeit“, mussten sich wieder zurechtfinden im Alltag und verdrängten oft ihre Erlebnisse, weil sie zu schrecklich waren und weil die Ansprechpartner fehlten. So ist ein Thema des Romans das Leben oder eben das „Nicht-tot-Sein“. Die Mutterbeziehung ist ein Hindernis, einen Weg ins normale Leben zu finden. Auch dabei spielt die Vergangenheit und die eigene Biografie des Autors eine Rolle.
Gattung
- Romane
Eignung
als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
Erscheinungsjahr
2016ISBN
9783462049251Umfang
441 SeitenMedien
- Buch