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Uwe Timm: Ikarien

Besprechung

Die Eingangsszene hat scheinbar nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun. Ein offenbar geistig behinderter Junge tanzt durch die Straßen. Als er an anderer Stelle noch einmal vorkommt, versteht man, dass er Sinnbild derer ist, die durch die radikale Rassenlehre der Nazis als „andersartig“ bezeichnet und ausgelöscht wurden. Es ist eine Kindheitserinnerung, die vom Autor selbst stammen kann. Dann die eigentliche Erzählung: Michael Hansen, amerikanischer Offizier deutscher Abstammung, Germanist und als Besatzungssoldat in Deutschland, bekommt den Auftrag, zunächst die Motive der „Werwölfe“, 17-Jähriger, die noch gegen die einrückenden Sieger kämpften, und dann die Ursprünge der Eugenik in Deutschland erforschen. Durch das buchstäblich noch qualmende Bayern fährt er nach München, kommt in einem Haus am Ammersee unter und trifft den Antiquar Wagner in der Schellingstraße in München, der Alfred Ploetz, den „Erfinder“ der Rassenlehre, gekannt hat. Michael Hansen ist unglücklich verliebt und der ihm zugeteilte Kollege, auch er Offizier, außerdem Psychiater, schnarcht fürchterlich. Da kommt ihm die Ablenkung gerade recht und es beginnt eine abenteuerliche und schreckliche Forschungsreise durch die Erinnerungen von Wagner an seine Studentenfreundschaft mit Ploetz, die sie auch nach Iowa, Amerika, führte, wo sie das utopische Projekt „Ikarien“ über mehrere Monate besuchten.

Uwe Timm spricht immer wieder von seinem Lebensbuch. Das Thema hat ihn schon beschäftigt, seit er ein junger Mann war, und er hat immer wieder recherchiert, gelesen, Notizen gemacht. Seine zweite Frau ist die Enkelin von Alfred Ploetz, das war eine weitere Motivation.

Die Erzählung ist facettenreich, dadurch stehen die schrecklichen Auswirkungen der angewandten Eugenik nicht im Mittelpunkt, was einem Romane nicht angemessen wäre. Der Antiquar berichtet von seiner Jugend und Freundschaft, von seiner Enttäuschung über die spießigen und kleinlichen Ikarier, der Germanist Hansen lässt sein Wissen über deutsche Dichter und Denker einfließen, er schreibt Tagebuch und verstrickt sich in weitere Liebeshändel. Beinahe witzig ist die Darstellung der Versuche, mit denen die Auswirkungen des Alkoholismus an Kaninchen bewiesen werden sollten.

Didaktische Hinweise

Im Anhang befindet sich eine Literaturliste, auf der sich einige Bücher zum Thema befinden, zum Beispiel zur systematischen Vernichtung von Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen, vor allem auch in der sogenannten Heil- und Pflegeanstalt in Haar. Diese sind als Grundlage für Referate geeignet. Diskussionsstoff bietet auch die Geschichte Ikariens, einer utopischen Gemeinde, die den radikalen Kommunismus zu verwirklichen suchte (dies beruht auf Tatsachen, nachzulesen in: Etienne Cabet, Reise nach Ikarien). Wie der Nationalsozialismus aus der Jugendbewegung und den daraus entstandenen Gruppierungen Ideen und Anhänger gewinnen konnte, lässt sich untersuchen.

Gattung

  • Romane

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Geschichte

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783462050486

Umfang

506 Seiten

Medien

  • Buch