Sten Nadolny: Weitlings Sommerfrische

Besprechung

Weitling ist pensionierter Richter, schreibt an einem Buch und verbringt den Sommer allein im gemieteten Elternhaus am Chiemsee. Er beschließt, sein Segelboot flottzumachen und trotz einer heraufziehenden Gewitterfront eine Tour über den See zu wagen. Das Unwetter bringt sein Boot zum Kentern, ein Rettungsschiff dreht zunächst ab, nimmt ihn dann auf, als er sich plötzlich Willy, seinem eigenen Ich als Jugendlicher bei einem ähnlichen Unfall gegenübersieht. So erlebt Weitling seine Jugend in den 50-er Jahren wieder, die Schule, die Lehrer und Kameraden, die Mädchen, die Eltern, den Großvater. Es gelingt ihm zu seinem Ärger nicht, seinem Ich Ratschläge zu erteilen und vor allem, Korrekturen anzubringen, wo er seine eigenen Erinnerungen nicht bestätigt sieht. Wenn Willy schläft, kann er sich von ihm lösen und auf Entdeckungstour gehen. Nach einigen Wochen hat er genug und möchte gerne zurück in sein Leben, zu seiner Frau, die er vom Bahnhof hätte abholen sollen. Und tatsächlich: Weitling kommt im Seenotkreuzer wieder zu sich und wird bald darauf von seiner Tochter aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht. Nun wird Weitling aber damit konfrontiert, dass er Schriftsteller und nicht Richter ist und auch sonst einiges sich in seinem Bewusstsein falsch dargestellt hatte. Alles in allem ist das neue, das „richtige“ Ich einschließlich der Schriftsteller-Mutter (nicht: Vater) dem Autor näher als das alte. Die Fiktion der Ich-Spaltung wirkt ein wenig gesucht und künstlich, manchmal albern. Der Romane ist auch arm an Handlung, die Botschaft, dass Erinnerungen trügerisch sind, nicht neu. Trotzdem macht es Spaß ihn zu lesen, wenn man einer ähnlichen Generation entstammt und viele historisch zu nennende Details wiedererkennt.