Dirk Kurbjuweit: Angst
Besprechung
Randolph Tiefenthaler ist Architekt, er wohnt mit seiner attraktiven Frau Rebecca und den Kindern Fee und Paul in einer schönen Altbaueigentumswohnung in Berlin. Im Untergeschoss aber lebt Herr Tiberius, dessen Kuchen zunächst als freundliche Nachbarschaftsgeste durchgeht, der sich aber mit der Zeit immer mehr herausnimmt, obszöne Briefe an Rebecca schreibt und schließlich die Tiefenthalers beschuldigt, ihre Kinder zu missbrauchen. Nun muss die Polizei ermitteln. Ihre Neutralität empört die Tiefenthalers, rechtliches Vorgehen gegen Tiberius verspricht jedoch kaum Erfolg, der Auszug aus der schönen neuen Wohnung wäre finanziell belastend und erschiene den Tiefenthalers wie eine Kapitulation. Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Wortlos scheint es zwischen Randolph und dessen Vater, dessen Leidenschaft für Waffen die Kindheit und Jugend des Sohnes durchaus überschattet hat, zu einer Verabredung zu kommen. An der Waffe, mit der Tiberius eines Tages getötet wird, finden sich Fingerabdrücke des Vaters, der die Tat auch gestanden hat. Ein Besuch bei ihm im Gefängnis (der alte Mann wirkt hochanständig und wird von seinem Wärter mit Höflichkeit und Liebenswürdigkeit behandelt) ist der Ausgangspunkt des Romans. Der Leser hält diesen Besuch zunächst für einen Besuch im Altenheim und will natürlich dann wissen, wie es dazu kam, dass hier ein Achtundsiebzigjähriger, dem niemand so etwas zugetraut hätte, wegen Totschlags verurteilt wurde.
Außer der „Stalking-Handlung“ gibt es weitere Erzählstränge: Tiefenthalers Vater, in sich gekehrt, wenig durchsetzungsfähig, voll „Angst“, hat sich immer mit Waffen umgeben, die ihm wohl ein Gefühl der Sicherheit gaben. Der Sohn enttäuscht ihn, weil er ab einem bestimmten Alter nicht mehr auf den Schießplatz will und ihn auch sonst seine Abwehr spüren lässt. Als der Stalker ins Leben von Randolph und Rebecca tritt, ist deren Ehe nicht mehr gut: Randolph zieht sich (wie einst sein Vater) immer mehr zurück, allerdings nicht zu Waffen, sondern in Feinschmeckerlokale. Thematisiert wird auch immer wieder, wie weit die Rechtsstaatsideen, denen sich Randolph eigentlich verpflichtet fühlt, tragfähig sind, wenn man sich derart bedroht und hilflos fühlt. Differenziert und klug wird dargestellt, was die absurd-falschen Beschuldigungen trotz ihrer Haltlosigkeit in Randolph und Rebecca anrichten: Sie fühlen sich schuldig und beschmutzt.
Didaktische Hinweise
Ein interessantes und spannendes Buch, thematisch allerdings nur für die Oberstufe geeignet. Vorschläge für eine Besprechung:- Analysieren Sie die Erzähltechnik des Buches. (Anfang: whydunit?; Schlusspointe etc.)- Erklären Sie den Satz des Vaters: „Ich bin so stolz auf dich“ (S. 26).- Charakterisieren Sie die Herkunftsfamilie Randolph Tiefenthalers. (Vater als typische Nachkriegsfigur, schwach, hilflos, überdeckt durch Tüchtigkeit und „Waffenstärke“, tatkräftige, ausgleichende Mutter, Rolle der Schläge, Randolph und sein Bruder als Gegensatzpaar) - Problemfall „Selbstjustiz“: Wie rechtfertigen Randolph und sein Vater die Tat? Verfassen Sie eine Erwiderung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien.- Diskutieren Sie in der Klasse Möglichkeiten, mit einer solchen Bedrohung umzugehen. Informieren Sie sich über das sogenannte „Stalking-Gesetz“.- Inwiefern ähnelt Randolph seinem Vater, inwiefern nicht? (Rückzug, gewisse Schwäche - wirtschaftlich erfolgreicher, differenzierter, intelligenter, weniger ausgeliefert) - Recherchieren Sie Aussagen des Autors zum realen Hintergrund des Falles und zur Fiktionalisierung realer Situationen in der Literatur. Vgl. hierzu den Spiegel-Essay „Einer von mir“.
Gattung
- Romane
Eignung
als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
Erscheinungsjahr
2014ISBN
9783499258138Umfang
256 SeitenMedien
- Buch