Judith Schalansky: Der Hals der Giraffe. BildungsRomane
Besprechung
Inge Lohmark, 55 Jahre alt, ist die gefürchtete Biologielehrerin des Darwin-Gymnasiums. Sie unterrichtet frontal und mitleidlos, ohne sich mit neuen Unterrichtsmethoden („neumodischer Unsinn“) abzugeben. Das darwinistische Ausleseprinzip will sie auch auf ihre Schüler anwenden, alles andere nütze niemandem. Allerdings wird die Schule bald schließen, es gibt in diesem Land einfach zu wenig Menschen. Aber das ist nicht Inge Lohmarks einziges Problem: Sie trauert, dass ihre Tochter Claudia schon lange in Kalifornien lebt und wohl nicht mehr zurückkommen wird. Der Ehemann Wolfgang hat sich nach der Wende auf Straußenzucht umgestellt, was ihn mehr zu interessieren scheint als die Beziehung zu seiner Frau, und irgendwie hat Inge Lohmark den alten Biss ein wenig verloren. Seltsam auch ihr (erotisches?) Hingezogensein zu Erika, einer Schülerin, die ihr Rätsel aufgibt. Ansonsten interessieren sie nur die Leistungen ihrer Schüler. Dass Ellen das ständige Opfer der Schikanen von Mitschülern ist, kümmert sie nicht weiter, bis die Sache eskaliert und der Schulleiter ihr bittere Vorwürfe macht. Jetzt kommt längst Verdrängtes hoch: Auch Claudia, Inge Lohmarks Tochter, war eine Außenseiterin und wurde gemobbt. Ihre Mutter aber, damals gleichzeitig ihre Lehrerin, ließ sie im Stich.
Ergänzt wird der Band durch bestechende Zeichnungen der Autorin, die Typographin und Buchgestalterin ist. Eine Seekuh, Quallen, Föten, Rinderkreuzungen etc. ergeben ein wahrhaftiges Biologiebuch. Außerdem behandelt das Buch viele weitere Aspekte, u. a. die sterbenden Landschaften, die Vergangenheit der DDR und die Überlebensstrategien der Menschen dort, die Frage nach der Berechtigung von Fordern statt Fördern und die Irrwege von Menschen, die sich auf eine Sache einschießen. Darüber hinaus ist der Romane trotz allem eine Hommage an die Biologie, das Fach, dem die Protagonistin ihr ganzes Leben verschrieben hat. Ausgezeichnet mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis 2012.
Didaktische Hinweise
Das Buch ist ganz oder auszugsweise für die Besprechung im Unterricht geeignet, zeigt es doch Schulwirklichkeit unter einem ganz bestimmten Blickwinkel. Die Hauptperson ist wohl skurril, aber interessant, und bietet jede Menge Diskussionsstoff und Reibungsfläche. Evtl. auch fächerübergreifend (Deutsch-Biologie) einsetzbar. Für die Oberstufe sehr zu empfehlen! Möglichkeiten für eine Besprechung, ein Portfolio etc.: Geschichte und Politik:Das Buch beschreibt Land und Leute vor, während und nach der Wende. Machen Sie eine Aufstellung der genannten Ereignisse und Erscheinungen im Roman und legen Sie dazu ein Glossar an. (z. B. demographischer Wandel in den neuen Bundesländern ...) Ausstattung: Analysieren Sie Umschlaggestaltung und Illustrationen. Kreatives:Ergänzen Sie den Sitzplan auf S. 20 f. mit einem ähnlich unfreundlichen „Steckbrief“ für die Hauptperson. Wandeln Sie die negativen Aussagen über jede Person ins Positive um. Verfassen Sie einen inneren Monolog der „Schwanneke“ über Inge Lohmark. Analysen, Charakteristiken und Stellungnahmen:Überwiegen die negativen Charakterzüge der Hauptperson oder hat sie auch gewinnende Seiten? Die „wunden Stellen“ der Hauptfigur werden erst nach und nach aufgedeckt. Suchen Sie diese Stellen aus dem Text heraus und fügen Sie sie zu einer Beschreibung zusammen. Bringen Sie die Problematik und das Versagen der Hauptfigur „auf einen Punkt“, d. h. stellen Sie es in einem kurzen Text oder einer Skizze dar. Charakterisieren Sie Kattner, den Direktor.
Analysieren Sie das Verhältnis Inge Lohmarks zu ihrem Ehemann. Erzähltechnik und Sprache: Analysieren Sie die Sprache auf Seite 15. (Äußerungen über Pubertät der Schüler: wissenschaftliche Einordnungen, Metaphern und Vergleiche aus der Biologie, abschätzig kurze Ellipsen, pejorative Einschätzungen) Nach welchem Prinzip sind die Einzelkapitel angeordnet? Literarischer Vergleich:Vergleichen Sie den Text mit Max Frischs Romane „Homo faber“. (Beide Helden sind fixiert auf die Naturwissenschaft, Walter Faber auf die Technik, Inge Lohmark auf die Biologie. Kunst, Gefühl, Religion etc. haben für sie keinen Stellenwert. Trotzdem bricht immer wieder das Unwägbare in ihr Leben, erstaunlicherweise kann Faber nicht rechnen, dass eine Schwangerschaft neun Monate dauert und Sabeth sein Kind ist, und erstaunlicherweise wird die Biologin Lohmark von einem Liebhaber schwanger. Beide versagen außerdem in existenzieller Weise vor Anforderungen des Lebens - Übernahme von Verantwortung, Empathie etc. -, denen man mit bloßer Naturwissenschaft nicht begegnen kann, und büßen bitter dafür.) Die fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele „Werteerziehung“ sowie „Alltagskompetenz und Lebensökonomie“ und „Soziales Lernen“ lassen sich durch dieses Buch thematisieren.
Gattung
- Romane
Eignung
als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Biologie
- Deutsch
FÜZ
- Alltagskompetenz und Lebensökonomie
- Politische Bildung
- Soziales Lernen
- Werteerziehung
Erscheinungsjahr
2011ISBN
9783518421772Umfang
221 SeitenMedien
- Buch