Jonathan Lethem: Chronic City
Besprechung
Chase Insteadman, Perkus Tooth und Richard Abneg sind die Protagonisten des Romanes, der ihre Abenteuer zwischen der „Fassade Manhattan“ und der Realität in schwindelerregendem Tempo und phantastischen Erzählsprüngen schildert. Den größten Teil der Geschichte erzählt Chase, die blasseste Figur, der „Lückenbüßer" und frühere Kinderstar, jetzt von seinem vergangenen Ruhm lebend, in Ich-Form. Oft wird dabei das eben Erzählte wieder negiert, kaum hat der Leser einer linearen Handlung zu vertrauen begonnen. Er lernt Perkus, der früher eine anarchistische Plakataktion betrieb, jetzt Rockkritiker ist - was er allerdings leugnet - und an eine große Verschwörung glaubt, bei Synchronisationsarbeiten für eine Filmdokumentation über den „film noir“ kennen. Eine Weile besucht er ihn regelmäßig in seiner heruntergekommenen Wohnung, raucht mit ihm die Marihuanasorte „Chronic" und lädt ihn zum Hamburgeressen ins „Jackson Hole“ ein. Die drei Freunde besuchen zahllose Dinnerparties, darunter eine bei dem Bürgermeister Arnheim, eine Mischung aus Giuliani und Bloomberg.
Ein New York der Banker und der eleganten Townhouses steht im Kontrast zu der Stadt der Drogen, der Armut und der Obdachlosen. Nach einem Schneesturm, der das Leben der Stadt lahm legt, und nach dem Einsturz mehrerer Wohnblocks neben Perkus' Wohnhaus verliert ihn Chase aus den Augen und es wird aus der Sicht von Perkus weitererzählt, bis Chase ihn findet und die Erzählung wieder übernimmt. Der Schnee und die eisige Kälte auch im Frühjahr und Sommer machen das Leben in der Stadt schwer, außerdem wird sie von einer Anzahl von Tieren heimgesucht. Vor allem ein hochhausgroßer Tiger beängstigt die Menschen. Vor Richards Fenstern nisten Adler, den Central Park durchstreifen Kojoten, ein Wal taucht im Hudson auf. Die Erzählung schwankt zwischen irrealen Phantastereien, die man automatisch dem dauernden Drogenkonsum der Protagonisten zuschreibt und durchaus rationalen Einschätzungen einer als real beschriebenen Lage. Perkus leidet unter starker Migräne, die ihn tagelang aus der Welt des klaren Verstandes vertreibt. Als der Tiger oder vielmehr ein Tunnelbohrer den Einsturz einiger Wohnblocks verursacht, kann Perkus nicht in seine einsturzgefährdete Wohnung zurück und bekommt eine Wohnung in einer Art Luxustierheim, die er mit einem riesigen dreibeinigen Hund teilt. Als Chase Perkus findet, ist er heruntergekommen und schwer krank. Er stirbt, kurz nachdem er ins Krankenhaus gebracht wurde. Chase hat eine Freundin namens Janice, die krebskrank und daher fußamputiert in einer Raumstation gefangen ist und nicht mehr zur Erde zurückkehren, aber Briefe voller Liebe und Sehnsucht senden kann, sowie eine lockere Beziehung zu einer Ghostwriterin namens Oona. Am Schluss glaubt Chase, dass sie vielleicht auch die Drehbuchautorin seines vermeintlichen Lebens und Janice im Weltall nur eine ihrer Erfindungen ist. Die Suche nach der Wahrheit, symbolisiert in der Suche nach einem Kaldron, einer Art Vase, endet im Ungewissen: war alles nur eine Art „Truman Story“ oder eine Szenerie aus dem Computerspiel „Yet another world“, auf das die Drei schließlich auch die Erfindung des „Kaldron“ zurückgeführt haben?
Didaktische Hinweise
Der Roman ist nicht leicht zu lesen, weil er mit der Unzuverlässigkeit seines Erzählers und seiner Protagonisten spielt. Aber er ist aktuell und dürfte die Schüler interessieren. Man kann ihn als einen modernen Bildungsroman lesen oder als dessen Parodie, weil Bildungsromane nicht mehr funktionieren. Ein Vergleich mit dem etwa gleichzeitig entstandenen, aber eher konventionell erzählten Romane „Freiheit“ von Franzen ließe sich anstellen. Die fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele „Sprachliche Bildung“ sowie „Alltagskompetenz und Lebensökonomie“ lassen sich durch dieses Buch thematisieren.
Gattung
- Romane
Eignung
als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 11 bis 13Fächer
- Deutsch
- Englisch
Erscheinungsjahr
2011ISBN
9783608501070Umfang
495 SeitenMedien
- Buch