Dashka Slater: Bus 57
Besprechung
Der Roman mit dem Titel „Bus 57“ von Dashka Slater beruht auf einer wahren Geschichte: Am Montag, dem 4. November 2013, zündete der damals 16-jährige Richard in einem Linienbus in Oakland, Kalifornien, den Rock des schlafenden Jugendlichen Sasha an, der sich selbst als „agender“ oder „genderqueer“ definiert. Sasha, der sich gerne in einem bunten Mix aus Röcken, Hüten und Krawatten kleidet, überlebt den Anschlag mit schlimmsten Verbrennungen, er/ sie muss mehrfach operiert werden – die Erklärung von Richard vor Gericht lautete: „Es sollte ein Scherz sein.“ Doch Richards scheinbar leichtfertige Tat wird schnell zum nationalen Medienereignis und hat für Richards Leben gravierende Konsequenzen, denn seine Tat wird als homophobes Hassverbrechen eingestuft, bei dem Erwachsenenstrafrecht angewandt wird. Soweit die Fakten.
Dashka Slater beschreibt in ihrem Jugendbuch jedoch nicht nur eine abscheuliche Tat, sondern auch die jeweils persönliche Geschichte der beiden Jugendlichen Sasha und Richard, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Da ist zum einen die Geschichte von Sasha, der/ die auf der Suche nach seiner/ ihrer sexuellen Identität und Orientierung ist, sehr intelligent ist, eine spezielle Form von Autismus hat und in einem offenen und gut situierten Umfeld aufwächst. Dass Sasha nicht auf ein Geschlecht bzw. eine Geschlechterrolle festgelegt werden möchte, wird von der Autorin auch sprachlich konsequent umgesetzt wird, indem in der deutschen Ausgabe die Pronomen „sier“, „siere“ oder „siem“ verwendet werden.
Richard, der aufgrund seiner Hautfarbe schon früh Zeuge von rassistischen Übergriffen im engeren Familienkreis geworden ist, kommt hingegen aus einem sozial schwachen Milieu. Immer wieder gerät er mit seiner Clique in Schlägereien oder verübt kleine kriminelle Delikte. Zum Zeitpunkt der Tat hat er schon ein Jahr in einem geschlossenen Jugendhaus verbracht. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein wertvoller und liebenswerter Mensch, der weit mehr ist, als es seine Tat zeigt.
Didaktische Hinweise
Der Roman „Bus 57“ eignet sich sehr gut als Klassenlektüre ab der 9. Jahrgangsstufe. Er beschreibt nicht nur sehr einfühlsam die Geschichte der beiden Jugendlichen und ihrer Familien, sondern es handelt sich auch um eine offene Kritik an einer Gesellschaft, in der alles klar eingeteilt zu sein scheint (männlich-weiblich, schwarz-weiß, gut-böse, Täter-Opfer, schuldig-unschuldig) – ein Schema, in das beide Jugendliche nicht eingeordnet werden können.
Sascha widersetzt sich offen einer konservativen Geschlechtervorstellung und wird dabei von seinen Eltern vorbildlich unterstützt. Richard, dessen Tat sich natürlich unter keinen Umständen entschuldigen lässt, ist, wie die Lektüre zeigt, jedoch auch ein Opfer der gesellschaftlichen Umstände. Sashas offener Umgang mit Geschlechterrollen kann Richard, der mit ganz anderen Problemen konfrontiert und auch überfordert ist, gar nicht verstehen. Er wird in ein Milieu gedrängt, das ihm wenig Chancen gibt, sich zu entwickeln.
Auch Fragen mit Schwerpunkt Sprachbetrachtung bieten sich an (Wie kann man mit Sprache Offenheit oder Diskriminierung zeigen? Wie kann man Sprache geschlechterneutral gestalten? Welche modernen Entwicklungen gibt es? Wie kann man gendern?) und Toleranz (Wie gehen moderne Gesellschaften mit alternativen Lebenskonzepten um? Wie offen sind moderne Gesellschaften wirklich?) in den Mittelpunkt stellen.
Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch von seiner Gestaltung her, ist der Roman für eine Besprechung im Unterricht interessant: Im Buch selbst wechseln verschiedene Arten der Darstellung ab, so gibt es zum Beispiel längere Erzählabschnitte, Auszüge aus Protokollen, Zitate aus Chatverläufen oder auch Begriffserläuterungen. Es handelt sich somit um eine gekonnte Mischung aus Roman und Dokumentation auf der Grundlage von akribischen Recherchen (die sich alle im Internet nachrecherchieren lassen).
Es gibt viele Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit mit anderen Fächern wie Englisch (u. a. Jugendkultur und gesellschaftliche Entwicklungen in den USA), Sozialkunde (u. a. Offenheit und Toleranz in modernen Gesellschaften), Ethik beziehungsweise Religion (u. a. Recht und Gerechtigkeit) und WR (u. a. Jugendstrafrecht).
Die Autorin stellt in ihrem Werk alle Menschen individuell und gleichwertig dar, sie wertet nicht ab oder legt die dargestellten Personen nicht auf Hautfarbe, Geschlecht oder Stereotype fest. Dadurch fördert sie ein empathisches Miteinander und bricht klassische Geschlechterrollen auf.
Das Buch eignet sich außerdem zur Besprechung im Sinne der Bildung für Nachhaltige Entwicklung, besonders unter den Punkten Geschlechtergleichheit (5) und Weniger Ungleichheit (10).
Gattung
- All Age
Eignung
sehr gut als Klassenlektüre geeignetAltersempfehlung
Jgst. 9 bis 10Fächer
- Deutsch
- Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
- Sozialkunde/Politik und Gesellschaft
FÜZ
- Werteerziehung
- Soziales Lernen
- Politische Bildung
- Interkulturelle Bildung
- Familien- und Sexualerziehung
- Alltagskompetenz und Lebensökonomie
- Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Umweltbildung, Globales Lernen)
Erscheinungsjahr
2019ISBN
9783743203631Umfang
400 SeitenMedien
- Buch