Antonia Michaelis: Die Worte der weißen Königin

Besprechung

Leon ist zehn Jahre alt. Mit seinem Vater lebt er in einem kleinen Ort an der Ostsee, in dem es fast nichts gibt außer Arbeitslosigkeit und Verzweiflung. Als Lions Mutter die kleine Familie verlassen hat, trinkt der Vater immer mehr. Und je mehr er trinkt, desto gewalttätiger wird er. Lion nennt ihn in diesem Zustand den „schwarzen König". Der einzige Lichtblick in Leons trostlosem Dasein ist die „weiße Königin“, eine ältere Frau, die jeden Samstag in der kleinen Kirche des Ortes Kinderbücher vorliest. Die Worte der weißen Königin können Lion trösten, aber gegen seinen schlagenden Vater können sie nichts ausrichten. Eines Tages liegt Lion zerschunden im Keller, in den ihn sein Vater gesperrt hat. Lion beschließt zu fliehen, was ihm auch gelingt. Einen Sommer lang lebt er im Wald und an der Küste. Einem verletzten Seeadler hilft Lion und fortan begleitet ihn der stolze Vogel, den Lion Rikikri nennt. Lion bricht in Häuser ein, um sich etwas zu essen zu besorgen. Manchmal übernachtet er auch in leerstehenden Ferienhäusern. Aber meist schläft er im Wald in den Bäumen, bewacht von Rikikri und dessen Frau Aarak. Noch jemand gesellt sich zu Lion. Es ist Olin, die behauptet seine Schwester und schon vor Jahren vor dem prügelnden Vater geflohen zu sein. Später wird sich herausstellen, dass Olin nicht existiert, nur Lion kann sie sehen und mit ihr sprechen. Als es Herbst wird, wird Lion klar, dass er im Wald nicht überleben kann. Zusammen mit Rikikri macht er sich auf die Suche nach der weißen Königin, die er am Schluss tatsächlich wiedersieht, auch seinen Vater, der ihm verspricht, nicht mehr zu trinken und ihn nicht mehr zu schlagender Romane liest sich wie ein Märchen, wie eine zauberhafte Geschichte, in der Seeadler fast sprechen und Wesen wie Olin die Hauptfigur beschützen. Gleichzeitig handelt die Erzählung von familiärer Gewalt, kindlicher Ohnmacht und vom Ausgeliefertsein an die fürchterliche Macht der Erwachsenen. Der Ich-Erzähler Lion beschreibt eine Welt, in der die väterliche Gewalt und die Rettung davor als mythische Figuren agieren. Der schwarze König gegen die weiße Königin, die am Ende siegt, aber nur weil Lion sich zuvor dem Zugriff des schwarzen Königs entziehen konnte.