Nikolaus Nützel: Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Was der Erste Weltkrieg mit uns zu tun hat

Besprechung

Den Tag, an dem sein Opa das linke Bein verlor, feiert die Familie des Autors jedes Jahr mit Bowle. So beginnt Nikolaus Nützel sein erzählendes Geschichtsbuch. Ganz ohne Fußnoten legt er den Ersten Weltkrieg in verschiedenen Facetten dar und schildert die kriegsbereite Stimmung in ganz Europa, das damalige Verständnis von Herrschaftsausübung sowie die falschen Erwartungen der Soldaten. Er zeigt dabei durchgehend, an welchen Stellen wir tagtäglich noch dem Ersten Weltkrieg begegnen. Die Zeit von 1914 bis 1945 wird als einen Krieg mit zwei Jahrzehnten Pause beschrieben. Ein großer Teil des Buches widmet sich der neuen Kriegsführung. Der Autor spart dabei die Profiteure des Krieges, die Rüstungsindustrie, nicht aus und nennt Firmen, die die Grundlage ihres Reichtums im Ersten Weltkrieg gelegt haben. Nützel erläutert das Kriegsende, die Schuldfrage und die weitere Entwicklung bis hin zum Nationalsozialismus nur kurz, stellt aber die ethische Frage, wann der letzte Krieg gekämpft wird. Gut gefallen hat mir, dass der Autor am Ende nicht nur die Frage beantwortet, warum seine Familie jedes Jahr auf die Verstümmelung des Großvaters mit einer Bowle anstößt, sondern auch eine weitere stellt: Wie hätte ich mich verhalten? Ein längst nötiges Sachbücher, das den Spagat zwischen wissenschaftlichem Sachbuch und Erzählung schafft und so im Ergebnis sowohl ein fundiertes als auch gut lesbares Buch für Heranwachsende ist. Durch die persönliche Umrahmung und seine Fragestellungen gelingt es Nützel, das Thema in die Gegenwart herüberzuziehen und einen Gegenwartsbezug herzustellen. Anders als klassische Sachbücher, die durch die bebilderte Darlegung jedes damals neuen Tötungsinstruments eher Kriegsfaszination oder ungläubiges Staunen ob der menschlichen Grausamkeit auslösen, regt dieses Buch zum Nachdenken an. Darin liegt sein größter Wert. Mit Recht wurde es für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 in der Kategorie Sachbücher nominiert. Ein Gewinn für jede Schülerbücherei und jede Empfehlungsliste.