Adelbert Stifter: Märchen, Sagen und Legenden

Besprechung

Der Sammelband enthält Märchen und Sagen, die in leicht gekürzter Fassung den Erzählungen Adalbert Stifters entnommen sind. Sie vermitteln ein eindringliches Bild von Landschaft, Geschichte und Volksglauben in Stifters böhmischer Heimat. Stifter zitiert in vielen Fällen Großmutter oder Großvater als Garant für die Glaubhaftigkeit insbesondere der Ortssagen. Erzählanlass kann die Belohnung für eine geleistete Arbeit, die Nennung von sprechenden Ortsnamen oder auch die gesellige Runde bei der Handarbeit sein. Den meisten Geschichten ist ein bedrohlicher Grundton zu eigen, auch Schwermut macht sich breit, wenn von der Pest, von Mord und unglücklicher Liebe erzählt wird. Geht es um einen glücklichen Fund wie den eines blutroten Steins, so zieht nicht der Finder einen großen Vorteil daraus, sondern in zunehmendem Maße die Reihe der weltkundigen Weiterverkäufer - am Ende ein „ Lombarde“, der den Wert des Edelsteins richtig einzuschätzen weiß. Das waldige Gebiet führt zur Erfindung von Zwergen, die Ziegen hüten, bis man sie durch eine dankbare Gabe verliert. Ist es eher ein Glück, solche Wesen aus einer anderen Welt wieder loszuwerden? Wenige Texte sprechen vom Glück, so z. B. der vom Retter eines kleinen todkranken Mädchens, das später im Erwachsenenalter sich seiner erinnert und ihn auf sein Schloss holt und heiratet. Die düstere Grundstimmung vieler Texte, die in ihrer sprachlichen Form sehr anspruchsvoll sind und manchmal einen langen Atem verlangen, greift die Illustratorin insbesondere mit der Wahl von Motiven und Farben auf. Der Wald, die Höhle, einsame Landstriche im abendlichen Licht, kleine Dörfer und abgelegene Gehöfte sind die Handlungsschauplätze, die sie zeigt. Innenräume oder auch eine Lichtung, die Geborgenheit ausstrahlen, gibt es nur auf wenigen Bildern zu sehen. Sie sind in naiv-volkstümlicher Weise in Öl gemalt ähnlich Hinterglasbildern und passen sich damit den Texten gut an.

Stifters Texte und die dazugehörigen schlichten Bilder von Lucie Müllerova geben einen Eindruck vom kargen, mühevollen Leben in den böhmischen Wäldern und der Erzähltradition, die eine wichtige Funktion in der Alltagsbewältigung erfüllte: Sie lieferte Zerstreuung und sorgte zugleich für die Bewahrung althergebrachter Regeln und christlicher Tradition.