Samantha Harvey: Umlaufbahnen

Besprechung

16 Mal pro Tag kreist die Raumstation um die Erde und die Leserinnen und Leser begleiten die 6 Astronauten auf den titelgebenden Umlaufbahnen. Die 16 Kapitel sind jeweils einer Umrundung gewidmet. Erzählt wird vom Blick nach draußen in das „energiegeladene Schwarz des Universums” und auf die Mutter Erde. Sie bekommen nicht genug von den spektakulären Bildern, die sie zu sehen bekommen. Mit stellenweise poetischen Worten wird die Schönheit des Planeten beschrieben: „Die Erde ist wie das Gesicht einer Angebeteten.” Länder, die nicht von Grenzen in Nationen unterteilt werden, Städte, unterschiedlichste Landschaften, die Ozeane, das unterschiedliche Licht (Polarlichter), und das sich verändernde Wetter entfachen ein nahezu kindliches Staunen der Wissenschaftler. Sie beobachten, wie sich ein Taifun zusammenbraut, wie er sich dem Festland nähert, an Land stößt und dort verheerende Verwüstungen anrichtet. Sie fasziniert das Privileg des ersten Blicks; gleichzeitig wissen sie, dass sie keine Macht über den Sturm haben. Geradezu zärtlich wird der Sonnenaufgang beschrieben: „Als würde ihnen der Planet über die Schulter Guten Morgen zuflüstern, dringt durch eine zarte Bresche flüssiges Licht.” Diese majestätische Wahrnehmung des blauen Planeten bringt sie zum kritischen Nachdenken über die menschengemachte Veränderung und Verschmutzung der Erde. In ihnen keimt das Verlangen auf, die Erde zu schützen und im Einklang mit ihr zu leben.

Gleichzeitig geht der Blick aber auch in die Raumstation: Da wird dann der Alltag in den verschiedenen Modulen beschrieben, die Durchführung der Experimente, der Fotografien, der Messungen, der Wartungsarbeiten, der Teamaufgaben, das tägliche Sportprogramm und der ganz alltäglichen Tätigkeiten wie Schlafen, Waschen und Essen. Obwohl die zwei Frauen und vier Männer auf engstem Raum miteinander leben und arbeiten, beschreiben sie doch auch das Gefühl einer großen Einsamkeit und der Frage nach dem Sinn. 

Sie erinnern sich an ihre Kindheit, zählen auf, was sie vermissen bzw. gar nicht vermissen, was sie geträumt haben und beschreiben das Glücksgefühl, im Orbit zu sein. Unweigerlich stellt sich auch die Frage nach der Gruppendynamik, denn neun Monate auf engstem Raum zusammenzuleben, stellt eine Herausforderung dar. Jedem Teammitglied kommt in dieser Einheit eine Aufgabe zu: Anton ist das Herz, Pietro der Verstand, Roman die Hände, Shaun die Seele, Chie das Bewusstsein und Nell der Atem dieses Organismus. Jeder und jede wird in einem Kapitel mit seiner bzw. ihrer Geschichte genauer in den Blick genommen.