Yasmina Reza: Serge
Besprechung
Bei dem Roman mit dem Titel „Serge“ der französischen Autorin Yasmina Reza handelt es sich um einen ungewöhnlichen Familienroman. Im Mittelpunkt des Romans steht eine weitverzweigte jüdische Familie aus Paris. Die Geschichte selbst wird aus der Ich-Perspektive von Jean erzählt. Jean ist der mittlere der drei Geschwister. Mit seinem älteren Bruder Serge, einem etwas windigen Unternehmensberater und seiner jüngeren Schwester Nana, hat er wenig gemein. Zusammengehalten wurde die Familie nach dem Tode des Vaters nur noch von der Mutter. Nach deren Tod beschließen die drei Geschwister, gemeinsam nach Auschwitz zu reisen, wo ihre Vorfahren mütterlicherseits, ungarische Juden, ermordet worden sind. Die Mutter, die ihr Leben lang über die Vergangenheit geschwiegen hat, wollte in ihrem Leben v. a. eines: Sie wollte kein Opfer sein und nichts mehr mit der Opfergeschichte zu tun haben. Von ihrem Mann, einem fanatischen Verteidiger Israels, wurde sie deswegen immer wieder als Antisemitin bezeichnet. Die Kontroverse zwischen den Eltern war den drei Geschwistern, alle drei assimilierte Franzosen, immer fremd, ihrem eigenen Jüdischsein haben sie bisher keine Bedeutung beigemessen.
Während sich der Roman zu Beginn etwas in den familiären Geschicken der drei Kinder verliert, stellt der eigentliche Höhepunkt des Romans die gemeinsame Fahrt nach Auschwitz dar. Auschwitz nimmt in Rezas Roman als Schauplatz jedoch eine ungewohnte Rolle ein. Für die Familie wird Auschwitz nicht nur zum Ort, sich mit ihrer familiären und jüdischen Identität auseinanderzusetzen, sondern auf der Reise werden auch die charakterlichen Defizite einzelner Familienmitglieder deutlich, denn das Wissen über die Shoah macht niemanden automatisch zu einem besseren Menschen. Was als gemeinsame Reise mit dem Ziel der kollektiven Erinnerung an das jüdische Schicksal gedacht war, führt am Ende zur Entzweiung der Familie. Die Menschheit hat, so wird in der Figur Serges deutlich, nichts gelernt. Ausgerechnet er schafft es, sich während der Reise so sehr mit seiner Schwester zu überwerfen, dass die beiden monatelang nicht mehr miteinander reden werden.
Didaktische Hinweise
Yazmins Rezas Roman „Serge“ eignet sich in Auszügen auch im Deutschunterricht. Es geht um die Frage, wie man über Auschwitz schreiben kann, ohne das Grauen zu leugnen oder zu verharmlosen. Die ironisch gefärbte Sicht der Auschwitz-Passagen lassen sich durchaus – gerade aus deutscher Sicht – kontrovers diskutieren. Das gilt auch für die unterschiedlichen Formen des Gedenkens der israelischen Besucher der Gedenkstätte. Die Tatsache, dass man als Leser/-in diese satirischen Passagen eher widerstrebend liest, lässt die Reise der Familie umso beklemmender erscheinen. Die Auseinandersetzung mit der Gedenkkultur zeigt einmal mehr, dass das Moment der Erinnerung sehr fragil ist und dass die Gefahr besteht, schnell in Gedenkroutinen zu erstarren.
Gattung
- Romane
Eignung
themenspezifisch geeignetAltersempfehlung
Jgst. 10 bis 13Fächer
- Deutsch
- Geschichte
- Sozialkunde/Politik und Gesellschaft
FÜZ
- Alltagskompetenz und Lebensökonomie
- Interkulturelle Bildung
- Kulturelle Bildung
- Politische Bildung
- Soziales Lernen
Erscheinungsjahr
2022ISBN
9783446272927Umfang
208 SeitenMedien
- Buch
- Hörbuch