mobile Navigation Icon

#lesen.bayern » Bücher für Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene » Besprechungen Belletristik » Kurzprosa, Erzählungen, Textsammlungen, Tagebücher

Kressmann Taylor: Adressat unbekannt

Besprechung

Das Buch kommt unscheinbar daher und beginnt gemäß seiner Struktur mit dem ersten Brief vom November 1932, der wie eine beschwingt-optimistische Standortbeschreibung erscheint: Ein amerikanischer Jude, Max Eisenstein, schreibt seinem Freund Martin Schulse, der nun in München ist. Beide haben in den USA gemeinsam eine Galerie geführt, die Max nun alleine leitet, nachdem Martin nach Deutschland zurückgegangen ist. Max vermisst die deutsche Familie sehr. Dennoch freut er sich für Max, beneidet ihn sogar, denn Martin findet ein demokratisches Land vor, in dem man den Geist einer politischen Freiheit vorfindet. Martin lebt sich schnell in Deutschland ein, kann seinen Wohlstand zeigen und fasst schnell Tritt in der neuen politischen Landschaft. Max hingegen hört in Amerika von einem Adolf Hitler und mag gar nicht, was er über diesen liest. Martin wiegelt in seiner Antwort ab und meint, dass dieser für Deutschland gut sei. In den weiteren Briefen kommt es schnell zum Bruch der Freundschaft: Martin schreibt von der Wiedergeburt des neuen Deutschlands und den ewig jammernden Juden und beendet den Briefwechsel. Max ist fassungslos und kann den Worten seines Freundes kaum Glauben schenken. Erst als Martin Max‘ Schwester Griselle, die Martin einst geliebt hat und die als Schauspielerin nach Deutschland gekommen ist, nicht vor der SA rettet, schlägt Max zurück und der letzte von 18 Briefen (und einem Telegramm) im März 1934 kann nicht zugestellt werden, da der Adressat unbekannt ist. 

Didaktische Hinweise

Die Autorin Kressmann Taylor, eigentlich Katherine Kressmann Taylor, schafft es auf eindringliche Weise, in ihrem Briefroman, der 1938 das erste Mal in einer New Yorker Zeitschrift erscheint, die Schrecken der nationalsozialistischen Zeit auf verdichtete und zugleich beklemmende Weise darzustellen. Das unvorstellbare Grauen dieser Zeit wird in einem Briefwechsel dargelegt, was die Dramatik der Handlung nur noch erhöht: Der fiktive Handlungsstrang um zwei Freunde entwickelt gerade wegen seiner Kürze eine erzählerische Wucht, die die Ungeheuerlichkeit der Nazizeit messerscharf anhand der zwei Figuren Martin und Max auf den Punkt bringt: Hier der Deutsche, der zum opportunistischen Mitläufer und bedingungslosen Nazi wird, dort der amerikanische Jude, der sich wehrt.

Elke Heidenreich spricht in ihrem Nachwort davon, dass das zersetzende Gift des Nationalsozialismus nie eindringlicher beschrieben wurde. Lobenswert ist daher auch die Tatsache, dass der Verlag Hoffman und Campe dieses Werk in einer sorgfältig edierten Ausgabe herausgebracht hat, was für das unterrichtliche Arbeiten mit dem Werk hilfreich ist. Die Entstehungsgeschichte und auch die interessante Editionsgeschichte dieses Briefwechsels können beispielsweise anhand von Interviews mit der Autorin und deren Sohn nachverfolgt werden. So ergibt sich eine Perspektive auf diese Geschichte, die man nicht oft hat: Eine Amerikanerin möchte Mitte der 1930er-Jahre verstehen, warum hochkultivierte Menschen zu Nazis werden. Darüber hinaus ist die Lektüre in dieser Altersklasse eine gewinnbringende Chance, anhand der Struktur eines Briefwechsels über diesen Abschnitt der deutschen Geschichte etwas zu erfahren. Bei der Besprechung im Unterricht kann die Lehrkraft ausgehend vom Cover der Hoffman und Campe-Ausgabe die Ausgangslage der Geschichte mit den Schülerinnen und Schülern im Unterrichtsgespräch untersuchen. Im Folgenden können anhand einer gruppenteiligen Arbeitsphase verschiedene Aspekte wie beispielsweise die Struktur des Textes, die Zeitgeschichte auch in den USA oder die Lebensgeschichte der Autorin von den Schülerinnen und Schüler erarbeitet und vorgestellt werden. Am Ende der Einheit wäre es denkbar, die Geschichte der Freunde weiterzuerzählen bzw. weiterzuschreiben. Diskussionen nach bzw. während der Lektüre können auch gesellschaftliche Themen wie die heutige Situation von Andersdenkenden, Flüchtlingen oder auch Menschen anderen Glaubens, aber auch die Situation von Autorinnen aufgreifen. Der überschaubare Umfang des Buches ermöglicht eine vielfältige Fortführung und Vertiefung der Thematik. Dieses Buch eignet sich daher sehr gut als Klassenlektüre. 

Gattung

  • Kurzprosa, Erzählungen, Textsammlungen, Tagebücher

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 11

Fächer

  • Deutsch
  • Geschichte

FÜZ

  • Politische Bildung
  • Werteerziehung
  • Kulturelle Bildung

Erscheinungsjahr

2000

ISBN

9783455405866

Umfang

112 Seiten

Medien

  • Buch