mobile Navigation Icon

Annie Ernaux: Die Jahre

Besprechung

Die in Frankreich seit den 70er Jahren bekannte und viel gelesene Schriftstellerin hat dieses Memoir, ein erzählendes Sachbuch, 2008 veröffentlicht. Didier Eribon gibt an, dieses Buch habe ihn zu seiner „Rückkehr nach Reims“ (2009) inspiriert, zuletzt berichtet Virginie Despentes (s. Das Leben des Vernon Subutex) vom Einfluss der Bücher Ernaux auf ihr Schreiben. Eribons „Retour à Reims“ wurde erst 2016 ins Deutsche übersetzt und im Nachzug nun auch „Les années“. Beschreibungen von Bildern, die aus der persönlichen, aber auch der gemeinsamen Bilderwelt einer Generation stammen können, leiten das Buch ein. Zwischen den persönlichen Erinnerungen, die mit dem Tod verlöschen und denen der anderen, in denen man selbst noch eine Weile weiterlebt, die ansonsten ganz andere sind, zwischen eigenen Träumen und den öffentlichen und historischen Ereignissen spielt sich das Leben ab. Annie Ernaux lässt die Jahre zwischen 1944 und der Gegenwart in kurzen Abschnitten und in unpersönlicher Sie- und Man-, manchmal Wir-, aber nie Ich-Form anhand von Bildern, Textzeilen, Gegenständen an uns vorüber ziehen. Es ist viel Autobiographisches verarbeitet, immer aber vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit. Vor allem die kulturellen Anspielungen, Radiosendungen, Werbung, Liedtexte sind spezifisch französisch, aber es fallen einem dank der reflektierten, sehr behutsamen Übersetzung von Sonja Finck sofort deutsche Entsprechungen ein. Anders ist das mit der Geschichte der Befreiung von der deutschen Besatzung, hier liest man als Deutscher und Europäer betroffen mit. Die meist unpersönliche, manchmal ironische, präzise Erzählform lässt einen von Anfang an nicht los. Gespannt erlebt man den Wandel des Lebens, der Politik, der gesellschaftlichen Normen – das Thema Sexualität zieht sich durch Ernaux‘ ganzes Werk - und des Interesses der öffentlichen Meinung.

Didaktische Hinweise

Was war der Ursprung der Banlieues, wie erlebten die Zeitgenossen das Ende des Vietnamkrieges, welche Filme sahen die jungen Leute, die im Mai 1968 wie die Autorin auf dem Höhepunkt ihrer Wahrnehmungsfähigkeit für öffentliche Belange waren? Diese Fragen interessieren die jungen Menschen, amüsieren auch sicher, wenn es zum Beispiel darum geht, wie Lehrer das aufkommende Fernsehen genauso verurteilten wie heute das Internet. Das Buch ist leicht in Auszügen zu lesen, da es keine kontinuierliche Handlung gibt, aber der Gesamttext vermittelt ein komplexes Bild einer Epoche und lenkt den Blick des jungen Lesers auf Bilder und Erinnerungen, die ihn prägen.

Alle hier rezensierten Werke von Annie Ernaux

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Geschichte, Archäologie

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Französisch

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783518225028

Umfang

256 Seiten

Medien

  • Buch