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Urs Faes: Untertags

Besprechung

Eine Frau erinnert sich an ihr Leben mit einem Mann, der seine Erinnerung verlor. Herta sitzt vor zwei Urnen. Sie teilt sorgsam ein Häufchen Asche und füllt sie jeweils in ein Gefäß. Sie denkt darüber nach, was mit den Überresten ihre Mannes geschehen wird. Eine davon wird von Ash Logistics abgeholt und auf deren Wunsch nach Amerika zu Jakovs Kindern aus erster Ehe gebracht. Die andere Urne leert sie auf dem Hügel bei ihrem gemeinsamen Haus. Herta ordnet Jakovs Papiere und folgt ihren Erinnerungen in die Vergangenheit, von der Demenz-Diagnose und dem fortschreitende Verlust der Worte, der Wörter bis zum Verstummen, bis zur ersten Begegnung, zu ihrer Liebe, der Ehe, die für beide die zweite war, den Besuchen in Jakovs Heimatstadt Thermopolis in Wyoming bis zur letzten Reise mit dem schon stark eingeschränkten Jakov. Er war erst Wochen nach ihr zurückgekommen, da er bei einem Ausflug mit seinen Kindern schwer gestürzt war. Herta trägt es sehr bewusst und mit großer Güte die zunehmenden Missgeschicke, die Jakov passieren, auch er Sprache und Erinnerung an all das Gemeinsame, die Reisen und Erlebnisse verliert. An die Grenze des Ertragbaren gerät Herta, als lang Zurückliegendes, nie Besprochenes aus der Zeit vor ihrer Beziehung in die Lücken von Jakovs Gedächtnis tritt, „Memory-Gap-Syndrom“ nennt es der Arzt. Der Name Virginie oder Ini taucht auf. Zu den Gefühlen des Mitgefühls und der Trauer kommt eine merkwürdige Eifersucht, deren Objekt fehlt, die Bitterkeit, nicht alles erfahren zu haben. Herta hat zwei Töchter, die sie sehr unterstützen und mit ihr nach Jakovs Tod seine Unterlagen sichten. So entsteht eine vage Ahnung, was mit Virginie gewesen sein könnte, lange vor der ersten Ehe mit Nancy, die Herta bei ihrer zweiten USA-Reise kennengelernt hatte. Das vierte Kapitel ist nicht aus Hertas Sicht erzählt, die nach einer Ohnmacht geschwächt ist, sondern Eliane, die Tochter, vollendet die Geschichte mit dem Bericht von Jakovs Sterben. Das Buch endet, wo es begann: Ash Logistics bekommt den Auftrag, die Urne nach Wyoming zu bringen.

Urs Faes komponiert seinen Text aus Teilen sachlichen Berichts vom gemeinsamen Alltag und fast poetisch zu nennenden Schilderungen von dessen Zerfall, aus Betrachtungen von Landschaften, sei es der idyllischen Schweiz, in der das Paar lebt, sei es der grandiosen des Teton-Nationalparks, aus Gedankenstrom, aus Gesprächen, vor allem den einseitigen in der Phase des Vergehens, aus Anspielungen an vielleicht gemeinsame Hör- und Leseerlebnisse.

Didaktische Hinweise

Unter den zuletzt zahlreich gewordenen Demenz-Berichten sticht „Untertags“ hervor durch die Erzählform, die Sprache und das inhaltliche Gewicht auf dem Wort. Der Verlust der Sprache als Verlust der Welt wird in kleinen Schritten erfahrbar und zeigt deren Bedeutung. Die Familie, Ort der Orientierung und des Traumas, ihr Zusammenfinden und Zerbrechen, spielt eine bedeutende Rolle, ähnlich wie in „Raunächte“, einer 2018 erschienen Erzählung des Autors.

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre

FÜZ

  • Gesundheitsförderung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2020

ISBN

9783518429488

Umfang

240 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book