José Luis Munuera (Illustr.), Charles Dickens: Eine Weihnachtsgeschichte

Besprechung

Eine modernisierte Comic-Adaption von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte

An Zeit und Ort hat der Zeichner José Luis Munuera, der für seine Comicserien „Spirou und Fantasio“ und „Zyklotrop“ bekannt ist, nichts verändert. Die Geschichte spielt nach wie vor im Jahr 1843 in London, das auf Munueras Bildern auch so aussieht, wie man es sich idealerweis vorstellt. Rauchende Schlote, Kopfsteinpflaster, Schmutz und Verwahrlosung, enge Gassen und düstere Ziegelgebäude, aber die Geister der Weihnacht erhellen die dunkle, unheimliche Metropole auf magische Weise und der Betrachter würde zu gerne darin spazieren gehen. Ungewohnt ist dagegen die Hauptfigur, denn aus dem alten, schlecht gelaunten Mr Ebenezer Scrooge ist die ehrgeizige, stets elegant gekleidete Ms Elizabeth Scrooge geworden, allerdings ist ihre Laune auch nicht besser als die des Originals. Ein wenig zu jung wirkt sie vielleicht, denn sie sollte doch, nimmt man Dickens Erzählung als Vorbild, bereits ein ganzes Leben hinter sich haben. Ansonsten verläuft die Handlung wie in Dickens Erzählung: Zunächst schikaniert und beschimpft sie ihren Angestellten, den warmherzigen, liebenswerten Bob Cratchit, und weigert sich, den Armen Geld zu spenden. Außerdem schlägt sie wie jedes Jahr an Weihnachten die Einladung ihrer Nichte (bei Dickens ist es ein Neffe) aus und äußert gegenüber vielen Bekannten, dass Weihnachten lediglich sentimentaler „Blödsinn“ sei. Schließlich erscheint der äußerst schrecklich anzusehende Geist ihres verstorbenen Geschäftspartners Marley, der ihr die drei Geister der Weihnacht ankündigt und sie davor warnt, dass es ihr im Jenseits wie ihm ergehen und sie leiden werde, aber Elizabeth ist jede Metaphysik zuwider und sie erkennt Gott nicht an, sondern gibt ihm die Schuld am Elend und an der Armut der Menschen auf der Erde.  Die bekannten drei Geister (der Geist der vergangener Weihnachten, der Geist des heutigen Weihnachtsfestes und der Geist künftiger Weihnachten) erscheinen im Folgenden und sie zeigen Elizabeth und den Leser/-innen ihre Entwicklung zur geizigen, tyrannischen und rücksichtslosen Frau. Elizabeth bereut auch nach dem Besuch der drei Geister im Grunde nichts, denn ihr Weg wurde davon bestimmt, dass Frauen härter als Männer um ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung kämpfen müssen; bereits ihr Vater hat festgelegt, dass sie anders als ihr Bruder die Schule nicht besuchen dürfe, da sie ohnehin heiraten werde. Aus dieser geschlechtsbedingten Ungerechtigkeit hat Elizabeth sich befreit und sieht wenig Anlass, dies zu bereuen. Dennoch bekommt am Ende Bob Cratchits Familie einen Truthahn von Elizabeth und ein unbekannter Gönner kümmert sich um Chratchits kranken Sohn, dem daraufhin ein langes Leben beschieden ist.