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Gabi Kreslehner: Nils geht

Besprechung

In Gabi Kreslehners Jugendroman „Nils geht", der 2020 im Tyrolia-Verlage in Innsbruck-Wien erschienen ist, geht es um das Thema Mobbing sowie um die Konsequenzen und um mögliche Auswege aus dieser sozial und emotional schwierigen Situation. Verknüpft wird die Thematik mit der von Liebe, körperlichem Begehren und Selbstbestimmung. Damit werden mehrere für junge Leserinnen und Leser zentrale Themen angesprochen und auf einfühlsame Weise behandelt.

Protagonist des Romans ist der circa 14-jährige Nils, der in vielerlei Hinsicht anders ist als seine Mitschülerinnen und Mitschüler: Er ist klein und schmächtig, legt keinen Wert auf seine Kleidung, ist sehr gut in der Schule, ein Computerfreak und von Anfang an ein Außenseiter in der Klasse. Die „fürchterlichen Vier“, eine Gruppe von Jugendlichen, die ihr Selbstwertgefühl daraus beziehen, andere als Opfer auszuwählen und zu demütigen, konzentrieren sich ganz auf Nils, als dieser neu in die Klasse kommt. Die Mitschülerinnen und Mitschüler beobachten dies mit einer gewissen Sorge, sind aber gleichzeitig froh, selbst nicht im Fokus der Mobber zu stehen.

Der Roman beginnt mit einer von der Polizei durchgeführten Befragung der Mitschülerin Sara und des Mitschülers Jo. Sara kennt Nils von klein auf, weil die Mütter gut befreundet sind. Sie hat nichts gegen Nils, möchte aber auch nicht zu viel Verbindung, da sie heimlich in Jo, den Anführer der fürchterlichen Vier, verliebt ist. Sie steht damit zwischen Nils und den Mobbern. Ihre Position wird dadurch verkompliziert, dass einer der Jungen sie zu erpressen sucht, er möchte mit ihr zusammen sein, was sie ablehnt. Deshalb droht er, sie sei für Nils Schicksal verantwortlich. Sie warnt Nils, lässt sich aber nicht aus die Erpressung ein und fühlt sich daher, wie bei den Befragungen deutlich wird, mitschuldig.

Kontrastiert werden die Befragungen von Sara mit denen des Mobbers Jo, der aus einem reichen Elternhaus kommt und weder von den Eltern noch von den Lehrern in seine Schranken verwiesen wird, wenn er sich unverschämt verhält. In den Befragungen bezeichnet er sich selbst als Opfer und initiiert damit von Anfang an eine Reflexion auf die Rollen von Täter und Opfer, die sich im Laufe des Buches ein Stück weit verkehren.

Das Mobbingopfer Nils hingegen leugnet viel zu lange die Demütigungen durch Jo, Rasmus und Fadi, und das auch, als die Lehrkräfte ihn darauf ansprechen, denn er wird von der Sorge angetrieben, dass dann alles noch schlimmer wird.

Als der Mathematiklehrer vorschlägt, dass Nils Mila, der Klassenschönheit, die Teil der fürchterlichen Vier ist und von den drei Jungen verehrt wird, Nachhilfe in Mathematik geben soll, damit sie das Klassenziel erreicht, gerät das fragile Gefüge restlos aus den Fugen. Nils und Mila freunden sich langsam an, wodurch sich Mila zunehmend von Jo, dem Anführer, distanziert und schließlich dessen Rache an Nils hervorruft. Die Situation eskaliert, als Nils aufgrund der fortgesetzten Schikanen Jo spontan mit dem von Rasmus verlorenen Springmesser verletzt und danach verschwindet.

Unmittelbar nach diesem Vorfall setzt der Roman ein und rollt die Gründe für die Tat von hinten auf. So versucht die Polizei den verschwundenen Nils zu finden und die Gründe für den tätlichen Angriff auf Jo aufzuklären, der damit tatsächlich vom Täter zum Opfer mutiert ist. Entsprechend ergänzt der über hundert Seiten umfassende erste Teil die Befragungen von Sara und Jo durch viele Rückblenden, die verdeutlichen, wie es zu Nils Wut- und Gewaltausbruch kommen konnte.

Im nur zwanzig Seiten umfassenden zweiten Teil des Romans folgt der Leser hingegen Nils auf seiner Flucht, bei der er mit der Bahn und zu Fuß unterwegs ist, bis er in eine Hütte eindringt, wo ihn ein freundliches Ehepaar findet und nach Hause zurückbegleitet.

Der Roman schildert einfühlsam die Position von Nils, Sara und Mila und wirft dabei zentrale Fragen auf, etwa wer die Verantwortung für das Vorkommnis trägt, wo Selbstschutz nötig und verständlich ist, wo Zivilcourage erforderlich wäre, was Mitschülerinnen und Mitschüler leisten können, was Lehrkräfte und Eltern mitbekommen können und wollen, wie ein soziales Gefüge aus dem Lot gerät und wie dies rückgängig gemacht werden kann. Damit diskutiert die Autorin ein Thema, das in der Schule immer wieder von Relevanz ist und zeigt, dass die Zuwendung einzelner dazu führen kann, auch denjenigen Halt zu geben, die es schwer haben, sich in eine Gruppengemeinschaft zu integrieren.

Didaktische Hinweise

Der Roman eignet sich sowohl als Privatlektüre als auch als Klassenlektüre. Wird er als Klassenlektüre ausgewählt, so bietet er die Möglichkeit, sich mit dem Thema Mobbing intensiv auseinanderzusetzen. Dabei können die Schülerinnen und Schüler sich mit den verschiedenen Figuren und deren Motiven auseinandersetzen. So wird beispielsweise deutlich, dass Fadi selbst schon häufig in einer Außenseiterrolle war und sich in seiner neuen Position des Mittäters sehr unwohl fühlt, aber doch wohler als in der Rolle des Mobbingopfers, die er selbst schon kennengelernt hat.

Interessant ist es zu beobachten, wie sich das Sozialgefüge und die Gruppendynamik verändert, wenn einzelne Figuren aus ihren Rollen ausbrechen, so wie es Mila macht, die sich mit Nils anfreundet, obwohl dies den anderen in ihrer Gruppe missfällt. In diesem Zusammenhang kann gemeinsam überlegt werden, welche Möglichkeiten es in einer Gruppe oder Klasse gibt, den Mobbern Einhalt zu gebieten und den Gemobbten zu integrieren. Eine Art Patensystem hat sich dabei bewährt, wie er im no-blame-approach zum Einsatz kommt.

Ein anderes wichtiges Thema, das im Roman angesprochen wird, ist die körperliche Selbstbestimmung. Sowohl Mina als auch Sara machen die Erfahrung, dass sich Jungen ihnen aggressiv und gewaltsam nähern, um ihr Begehren durchzusetzen. Hier ist eine Sensibilisierung dafür geboten, dass Nein Nein heißt und körperliche Nähe ein gegenseitiges Einvernehmen erfordert.

Im Sinne des literarischen Lernens kann die besondere Erzählform in den Blick genommen werden. So bieten die verschiedenen Erzählformen, die von einer Befragung im Interviewstil über Rückblenden aus der Perspektive verschiedener Figuren und einem personalen Erzählen aus der Sicht von Nils reichen, am Ende des Romans einen multiperspektivischen Blick auf das Geschehen und die Möglichkeit, sich mit der Erzählanalyse vertraut zu machen.

Alle hier rezensierten Werke von Gabi Kreslehner

Gattung

  • Romane

Eignung

themenspezifisch geeignet und zum Vorlesen

Altersempfehlung

Jgst. 7 bis 8

Fächer

  • Deutsch

FÜZ

  • Alltagskompetenz und Lebensökonomie
  • Soziales Lernen
  • Sprachliche Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2020

ISBN

9783702238438

Umfang

139 Seiten

Medien

  • Buch