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Martin Schäuble: Warum du schweigst

Besprechung

In seinem neuen Roman „Warum du schweigst” behandelt Martin Schäuble ein gleichermaßen wichtiges wie schwieriges Thema, nämlich das von sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch in Sportvereinen. Laut Untersuchungen sind jährlich in Deutschland hunderttausend Menschen davon betroffen, doch findet das Thema nach wie vor wenig Aufmerksamkeit, auch weil die Betroffenen, wie der Titel verdeutlicht, vielfach aus Scham das Schweigen vorziehen. Sehr einfühlsam zeichnet Schäuble ausgehend von vielen Gesprächen mit Betroffenen die fiktive Geschichte der 15-jährigen Lena nach, die begeisterte Fußballerin ist und sich daher über den neu engagierten Fußballtrainer freut, der die Mannschaft fordert und fördert. Gleichwohl merkt sie schnell, dass sie sich bei vielen seiner Sprüche und Handlungen nicht wohl fühlt, aber dennoch nichts unternimmt, sondern immer wieder denkt, dass es vielleicht doch ein normales Verhalten ist, wenn er sie und andere Spielerinnen körperlich berührt: „Charly war eben ein Trainer, der Körperkontakt suchte. Das konnte doch nicht falsch sein, dachte Lena. [...] Sicher meinte es Charly immer nur kumpelhaft oder väterlich. Oder? Sie wusste es nicht.” (S. 48) Der Roman zeigt auf, wie der Trainer es einerseits durch sein Engagement für den Sport schafft, dass die Spielerinnen und deren Eltern ihn schätzen und ihm vertrauen, er andererseits durch immer weitergehende Grenzüberschreitungen austestet, wie die Spielerinnen der Mannschaft und besonders Lena reagieren. Obwohl ihr sein Verhalten zunehmend unangenehm ist, vertraut sie sich weder der Mutter noch den Mitspielerinnen und Freundinnen an, sondern zieht sich immer mehr zurück, mit fatalen Folgen. 

Das Besondere an dem Roman ist, dass er zwei Perspektiven kontrastiert, die von Lena, die mit den Erwartungen vonseiten des Trainers nicht umgehen kann und ungewollt in Situationen gerät, die sie belasten und ihr ganzes Leben durcheinanderwirbeln, und die von Tim, mit dem sich eine erste Liebesgeschichte anbahnt, auf die sich Lena jedoch nicht einzulassen vermag, weil ihre zunehmende Aversion gegen den Trainer auch die eigentlich erwünschte Nähe zu ihrem Freund belastet. Durch die zwei Erzählstränge gelingt es Schäuble, der Leserin/dem Leser sowohl die Innenperspektive von Lena zu verdeutlichen als auch die Außenperspektive einer ihr nahestehenden Person, der es trotz gegenseitiger Sympathie nicht gelingt, Lena zu helfen und sie zu schützen, weil diese nicht in der Lage ist, über das Verhalten des Trainers zu sprechen. Gleichwohl findet eine Entwicklung statt, die dazu führt, dass Lena zunehmend an Stärke und Selbstbestimmung gewinnt, sodass der Roman Wege aufzeigt, mit dieser schwierigen Situation umzugehen, statt an ihr zu zerbrechen.

 

Didaktische Hinweise

Der Roman greift ein sehr wichtiges und für Jugendliche relevantes Thema auf. Statistiken zeigen, dass sexueller Missbrauch in der Familie, in Vereinen oder anderen Institutionen sehr häufig sind, doch nach wie vor zu wenige den Schritt wagen, sich Hilfe zu suchen, da es den Tätern vielfach gelingt, im Vorfeld Vertrauen oder ein Abhängigkeitsverhältnis aufzubauen, sodass die Betroffenen sich aus Scham und vermeintlicher Mitschuld verschließen. Einen Ausweg aus dieser Situation aufzuzeigen, ist die Stärke des Romans, der damit sowohl eine präventive als auch eine kurative Funktion übernehmen kann. Indem das Buch verdeutlicht, dass die Protagonistin ein durchaus richtiges Gefühl hat, dass das Verhalten des Trainers übergriffig ist, aber doch zu lange wartet, können Leserinnen und Leser erkennen, dass es sinnvoll ist, sich frühzeitig an Freundinnen und Freunden oder Eltern zu wenden, wenn sie in Situationen geraten, in denen sie sich unwohl fühlen.

Durch die doppelte Erzählperspektive des Romans wird auch Außenstehenden bewusst, wie schwierig es ist, Betroffenen zu helfen, denn die Protagonistin ist keineswegs isoliert. Sowohl ihre Mutter als auch Freundinnen und Tim bemerken, dass sie sich verändert und bieten ihr Hilfe an. Dennoch gelingt es ihnen nicht, sie zu schützen, da sie Hilfe abblockt. Damit verdeutlicht Schäuble, wie komplex es für alle Beteiligten in einer solchen Situation ist, Auswege zu finden. Das bietet genug Gesprächsanlässe für die Beschäftigung mit der Thematik im Unterricht. Ziel sollte es sein, für die Problematik zu sensibilisieren, junge Menschen zu stärken und nach Möglichkeit, Auswege aufzuzeigen, damit diejenigen, die in ähnliche Situationen geraten, sich frühzeitig trauen, Hilfe zu suchen und nicht aus Scham verschließen oder die Verantwortung bei sich suchen.

Der Roman eignet sich als Klassenlektüre, da er ein sensibles Thema anspricht, das für junge Leserinnen und Leser bedeutsam ist und bei dem sie aber nicht allein gelassen werden sollten, sondern sich mit anderen austauschen. Vermutlich werden sich einige Eltern und Lehrkräfte besorgt fragen, ob es manchen zu nahe geht. Doch hier gilt: Das Thema ist zu wichtig, um ausgespart zu werden. Jugendlichen wird durch die Lektüre des Romans und die Behandlung im Unterricht ermöglicht, mit Gleichaltrigen und Erwachsenen Auswege aus Krisensituationen zu besprechen. Nicht ein Wegschauen, sondern das Hinschauen und Ansprechen ist die beste Prävention und dies berücksichtigt der Roman, der dazu beitragen möchte, Frühwarnsignale bei sich und anderen rechtzeitig zu erkennen, um Hilfe zu holen. Es ist ein wichtiges Buch, dem viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind.

Gattung

  • All Age
  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet und zum Vorlesen

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 12

Fächer

  • Deutsch

FÜZ

  • Kulturelle Bildung
  • Familien- und Sexualerziehung
  • Soziales Lernen
  • Werteerziehung
  • Sprachliche Bildung

Erscheinungsjahr

2024

ISBN

9783737343619

Umfang

226 Seiten

Medien

  • Buch