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Sonja Weichand: schuld bewusstsein

Besprechung

Wie geht die Enkelgeneration mit den Erfahrungen der Generation ihrer Großeltern um, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben? Und wie gelingt es umgekehrt, die schrecklichen Erlebnisse dieser Zeit uns heute nahe zu bringen?

Für die 30-jährige Journalistin Anna stellen sich diese Fragen, denn obwohl sie ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Großmutter Rose-Marie Gruber hat, gibt es einen weißen Fleck in der Biografie ihrer Großeltern und so macht sie sich auf die Suche nach den fehlenden Puzzleteilen derjenigen Erfahrungen, die ihre Großmutter am Ende des Zweiten Weltkriegs gemacht hat. Warum hat diese nie etwas über das Schicksal ihres Großvaters erzählt? In einem Buch über das Leben ihrer Großmutter möchte sie all diese Fragen beantworten. Anna begibt sich von Berlin aus nach Würzburg, wo ihre Großmutter als junges Mädchen die letzten Kriegsmonate verbracht hat. Sie erfährt, dass Rose-Marie Gruber Mitglied des BMD gewesen ist, im Lazarett für Verwundete gesungen hat und als Schaffnerin gearbeitet hat. Sie hat unerschütterlich an die Ziele des Nationalsozialismus geglaubt und sehnsüchtig auf Paul gewartet, ihren Verlobten, Annas Großvater, der treu und unerschütterlich für die Sache der Nationalsozialsten an der Front im Westen gekämpft hat, bis er den D-Day miterlebt hat und aufgrund dieser traumatischen Erlebnisse desertiert ist. Als die Nazis Annas Oma aufsuchen und ihr davon berichten, kann diese es nicht fassen, wie Paul ihre gemeinsamen Ideale aufgeben konnte. Immer mehr muss Rose-Marie erleben, wie ihre festen Überzeugungen bröckeln, bis sie in der Bombennacht von Würzburg am 16.3.1945 den Untergang von Hitlers Reich am eigenen Leib schmerzvoll erlebt und nur mit allergrößter Mühe den Feuersturm überlebt. Nach dem Krieg findet sie Paul wieder und baut sich mit ihm eine gemeinsame Zukunft auf, obwohl Paul nicht mehr in der Lage ist, sich in den Nachkriegsalltag einzufinden – zu sehr ist er von den Ereignissen an der Front traumatisiert. Rose-Marie empfindet es als ihren Beitrag zum vergangenen Krieg, diese Ehe einzugehen, obwohl es keine gemeinsame Basis für eine Beziehung gibt. Zudem hat der Gedanke an das Weitermachen nach dem Krieg keine Zeit zum Nachdenken gelassen. Annas Mutter wird geboren und in aller Liebe aufgezogen, bis die Ehe der Eltern zerbricht – eben jener weiße Fleck, den die Oma ihr nie erklären wird. Für Anna ist ihre Oma die wichtigste Bezugsperson, denn nach dem Tod ihrer Eltern ist es ihre Großmutter, die sie zu einer kritischen und unabhängigen Frau erzieht und Anna anhand vieler Erzählungen aus der Zeit des Nationalsozialismus deutlich macht, wohin Verblendung, Rassismus und Hass führen können. Rose-Marie hat sich in den Jahren nach dem Ende des Krieges mit ihrem Verhalten in der NS-Zeit auseinandergesetzt und auf diese Weise versucht, ihre eigene Rolle in dieser Zeit zu verarbeiten. Daher kann Anna es auch nicht verstehen, warum sie nie etwas über ihren Großvater erfahren hat. Also beginnt sie ihre Spurensuche, die sie neben den Archiven in Würzburg auch nach Freiburg ins Militärarchiv führt. Nach und nach wird ihre klar, was mit ihrem Großvater los war und ein fruchtbarer Verdacht bestätigt sich mehr und mehr… Diese Erfahrung stellt ihr eigenes Leben dermaßen auf den Kopf, so dass sie psychisch und physisch bis an ihre Grenzen geht und zusammenbricht – und sie gemeinsam mit ihrer Großmutter einen schmerzvollen Schlussstrich unter ihre Beziehung ziehen muss, wobei sie ihre und die Wahrheit ihrer Großmutter neu bewerten muss. 

Didaktische Hinweise

Die Autorin schreibt in ihrem Debütroman von Verantwortung und wie man sich ihr stellt. Dies ist ein lebenslanger Prozess und betrifft nicht nur die Kriegsgeneration. Für das Unterrichtsgespräch tun sich vor diesem Hintergrund Diskussionsfelder auf, die sich um Schuld und einem verantwortungsvollen Umgang mit ihr drehen. Beide Figuren, Anna und Rose-Marie, stellen sich der Frage nach der Schuld, wobei sich auf geschickte Weise die Blickwinkel der jungen Rose-Marie in der NS-Zeit mit der nach Beweisen suchenden Anna in der Gegenwart verbinden. Diese Sicht wechselt kapitelweise ab und erhöht vor allem gegen Ende den Spannungsbogen, da es der Autorin gelingt, durch eine unprätentiöse Erzählweise so nah an die Figuren zu gelangen, so dass deren körperlicher und seelischer Schmerz unter die Haut geht.

Man kann das Ringen um die Wahrheit, die jede der Figuren mit sich ausmacht, sehr gut nachempfinden, so dass sich nach der Lektüre ausgehend vom Titel und dem minimalistisch gestalteten Cover ein treffender Anknüpfungspunkt für die Besprechung im Unterricht anbietet. Schülerinnen und Schüler können davon ausgehend die Umstände recherchieren, wie die Rolle der Frau in der NS-Zeit aussah, entweder in Gruppenarbeit oder mit Hilfe eines Portfolios. Diskussionen vor, während oder nach der Lektüre können die Bedeutung von Zeitzeugenberichten thematisieren.Der Roman endet mit einem Brief, es wäre daher denkbar, andere Schreibformen für den Schluss zu finden wie z.B. ein klärendes Gespräch zwischen Anna und ihrer Großmutter. Die Autorin hat am Ende aufgelistet, wer sie bei den Recherchen unterstützt hat. Auch hier können sich Ideen für Präsentationen oder Referate finden, die sich z.B. mit dem Bombenkrieg auf deutsche Städte auseinandersetzen oder mit den Auswirkungen der Kriegserlebnisse auf die überlebenden Soldaten. Der Roman eignet sich sehr gut als Klassenlektüre oder für Buchvorstellungen. 

Gattung

  • Romane

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 12

Fächer

  • Deutsch
  • Geschichte

FÜZ

  • Kulturelle Bildung
  • Politische Bildung
  • Soziales Lernen
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2020

ISBN

9783750498952

Umfang

297 Seiten

Medien

  • Buch