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Xavier-Laurent Petit: Der Sohn des Ursars

Besprechung

Eine mitreißende Geschichte über den Sohn eines Bärenführers

Ein Ursar ist ein Bärenführer, der vor Publikum auftritt und gegen einen scheinbar wilden Bären kämpft; auch wenn der Bär gewissermaßen zur Familie gehört, ist die Veranstaltung für den Bärenführer dennoch gefährlich, deshalb trägt er stets ein besonders geschliffenes Messer bei sich, das er von seinem Vater erhalten hat und der wiederum von seinem Vater und so fort.

Ciprian ist der Sohn eines Bärenführers und zieht mit seiner Familie in Rumänien von Ort zu Ort; der Vater (Daddu) tritt auf Marktplätzen auf und kämpft gegen den Bären Gaman, Ciprian behält dabei Gaman im Auge, seine Schwester Vera tanzt dazu und seine großer Bruder Dimetriu „organisiert“ währenddessen Lebensmittel. Überall, wo sie hinkommt, wird die Familie scheel angesehen, häufig beschimpft und verjagt. Mitten im Winter gibt der altersschwache Motor ihres Wagens endgültig den Geist auf, da trifft es sich, dass Männer in einem schicken Auto erscheinen und ihnen ein besseres Leben in Paris versprechen. Die Männer sind Schlepper und schleusen Ciprians Familie illegal nach Frankreich, dort findet sie sich in einem Barackenlager wieder und muss nun die Kosten für die Reise „abarbeiten“, der Vater verkauft gestohlenen Schrott, Dimetriu beginnt in U-Bahnen zu stehlen und lernt Ciprian dazu an, und Vera bettelt. Allerdings haben sie keine Chance, ihre Schulden jemals zurückzuzahlen, denn diese verdoppeln sich jeden Monat, und keiner von ihnen kann lesen und nachprüfen, was der gerissene Schuldeneintreiber Karoly in sein Heft schreibt.

Eines Tages beobachtet Ciprian im Park Luxembourg Madame Walfisch und Monsieur Sehrdick, so nennt er die beiden, beim Schachspielen. Er ist fasziniert von dem Spiel und obwohl er anfangs nicht versteht, was auf dem Brett vor sich geht, kann er sich doch jeden Zug merken, und nach einiger Zeit begreift er die Regeln des Spiels. Schließlich bemerkt ihn Madame Walfisch und fordert ihn auf, gegen sie zu spielen. Die ältere Dame ist fasziniert von der Auffassungsgabe des Jungen, sie macht ihn mit dem Schachtrainer José Bohnenstange bekannt, der mit ihm übt, und mit der Lehrerin Madame Schönauge (beide Namen hat sich Ciprian ausgedacht), die ihm Lesen und Schreiben beibringt. Ciprian lernt in einer unglaublichen Schnelligkeit, aber auch das ist ihm zu langsam, weshalb er das Wörterbuch, das ihm Madame Schönauge gibt, systematisch von A bis Z durcharbeitet. Da Ciprian nicht mehr „arbeitet“ und kein Geld mehr abliefert, bedroht Karoly seine Familie, überfällt schließlich Vera und misshandelt sie; daraufhin berät sich sein Vater mit einem weiteren Bärenführer und nach einigen Tagen wird Karolys Leiche mit durchschnittener Kehle gefunden.

Monsieur Sehrdick stellt sich als pensionierter Polizeipräfekt heraus, er versucht Ciprians Familie zu helfen, aber Ciprian will seinen Vater nicht verraten, obwohl auch er nicht weiß, wer Karoly umgebracht hat. Dennoch wird Ciprians Vater verhaftet, Dimetriu bleibt nach einer Razzia der Polizei verschwunden, Ciprians Mutter wird krank und in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und der gesamten Familie droht die Abschiebung. Aber Ciprian hat inzwischen seine ersten Schachturniere gewonnen und José Bohnenstange ist davon überzeugt, dass Ciprian ein zukünftiger Schachmeister ist und in die Jugendnationalmannschaft aufgenommen werden sollte. Monsieur Sehrdick lässt seine Kontakte spielen und erreicht vom Innenminister eine Aufenthaltsgenehmigung für die ganze Familie. Am Ende spielt Ciprian für Frankreich in einem Jugend-Turnier.

Didaktische Hinweise

Der Roman wurde von Désirée Schneider in ein wundervolles, bildhaftes und farbiges Deutsch übersetzt, wobei die Handlung von Ciprian selbst geschildert wird, der für junge Leserinnen und Leser eine sympathische Identifikationsfigur darstellt und der seine Erlebnisse bei aller Tragik witzig und mit einem Augenzwinkern erzählt; sein Aufstieg vom gesellschaftlichen Außenseiter zum Schachgenie lässt sie mitfiebern und die Ereignisse um seine Familie sind spannend und ungewöhnlich. Die Lebensumstände der Roma-Familie und ihre prekäre Situation werden anschaulich und eindrücklich beschrieben. Vor allem Ciprians Zerrissenheit zwischen den ungeschriebenen Gesetzen seiner Welt und den geschriebenen des französischen Staates zeigen die Schwierigkeiten der Assimilation in die Mehrheitsgesellschaft. Ciprian selbst erklärt es seinem Schachlehrer folgendermaßen: „Es gibt zwei Ciprians. Wenn ich Daddu im Besucherraum sehe, bin ich der von da drüben. Wenn ich Schach spiele, dann bin ich der von hier.“

Anhand dieses packenden Romans lässt sich nicht nur über Außenseiter im Allgemeinen, sondern auch über die Geschichte der Sinti und Roma sowie über ihre gegenwärtige Situation im Besonderen sprechen. Informationen dazu finden sich unter anderem auf der Linkliste des ISB und auf der Webseite des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, auf der eine Zusammenstellung kostenlosen Unterrichtsmaterials zur Thematik bereitgestellt wird. Die Webseite des Knesebeck Verlags bietet eine Kurzbiographie des Autors und eine Leseprobe.

Gattung

  • Romane

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 6 bis 7

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Interkulturelle Erziehung

FÜZ

  • Interkulturelle Bildung
  • Kulturelle Bildung
  • Soziales Lernen
  • Politische Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2022

ISBN

9783957285386

Umfang

240 Seiten

Medien

  • Buch